Süddeutsche Zeitung

Vorschlag der Staats- und Regierungschefs:Von der Leyen soll die EU führen

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Die EU-Staaten haben Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) offiziell als Präsidentin der Europäischen Kommission nominiert. Die Entscheidung fiel am Dienstag bei einem EU-Sondergipfel in Brüssel, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk auf Twitter mitteilte.

Der Ratspräsident gab zudem weitere Personalentscheidungen bekannt. An die Stelle von Tusk selbst soll demnach der liberale belgische Premierminister Charles Michel treten. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, soll an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) rücken. Der sozialistische spanische Außenminister Josep Borrell wird als künftiger EU-Außenbeauftragter vorgeschlagen.

Das Europäische Parlament muss der Personalie von der Leyen noch zustimmen. Tusk warb um die Zustimmung der Abgeordneten. Von der Leyen wäre die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission, wenn auch das Europaparlament zustimme, sagte Tusk nach Gipfelende. Zudem habe von der Leyen angedeutet, die Spitzenkandidaten Frans Timmermans und Margrethe Vestager zu Vizepräsidenten der Kommission zu machen.

IWF-Chefin Christine Lagarde teilte auf Twitter mit, sie fühle sich geehrt, für den Posten des EZB-Präsidenten vorgeschlagen worden zu sein. Sie werde während des Nominierungszeitraums vorübergehend ihre Aufgaben als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) ruhen lassen.

Deutschland hat sich bei der Abstimmung über das Personaltableau enthalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel verwies als Grund dafür auf eine Absprache in der großen Koalition. Merkel dankte dem EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber und dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Timmermans. Sie habe das Spitzenkandidaten-Konzept sehr ernst genommen. Dieses Prinzip habe wegen der Konstellation im Rat nicht durchgesetzt werden können. Es dürfe nie wieder passieren, dass ein Spitzenkandidat wie Weber sofort von anderen abgelehnt werde.

Der niederbayerische CSU-Politiker Weber hatte kurz vor Bekanntgabe der Nominierung von der Leyens seinen Anspruch auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten offiziell aufgegeben. Sein Sprecher teilte am Dienstagabend auf Twitter mit, dass dieser sein Mandat als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei zurückgegeben habe. Dem Chef der EVP-Fraktion war es nicht gelungen, sich eine Mehrheit im EU-Parlament zu sichern. Bei den Beratungen in Brüssel spielte er dafür als Besetzung für den Posten ohnehin keine Rolle mehr.

Die Beratungen über die künftigen Spitzen der EU waren äußerst schwierig. Mit mehreren Stunden Verspätung hatten die EU-Staats- und Regierungschefs am Nachmittag den EU-Sondergipfel fortgesetzt. Vorangegangen war eine Vielzahl von Beratungen in kleineren Runden über die Besetzung der Spitzenposten in der EU, insbesondere den des EU-Kommissionspräsidenten.

Erst am Nachmittag war überraschend die deutsche Verteidigungsministerin als mögliche EU-Kommissionspräsidentin genannt worden. Die Personalie rief unterschiedliche Reaktionen hervor. Ungarn sicherte dem Vorschlag seine Unterstützung zu - und auch die anderen drei Visegrád-Staaten Polen, Tschechien und Slowakei. "Die Visegrád Vier unterstützen die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als nächste EU-Kommissionspräsidentin", schrieb der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs auf Twitter.

Die vier Staaten hatten den ursprünglichen Vorschlag von EU-Ratspräsident Tusk vehement abgelehnt, den sozialdemokratischen Niederländer Frans Timmermans zum Kommissionschef zu machen. Dass von Timmermans nun abgerückt wurde, feierte Kovacs als Erfolg der Staaten. Die "Visegrád Vier" hätten erneut ihre "wachsende Stärke und ihren Einfluss auf die Führung der EU" bewiesen, nachdem sie zuvor schon den Kandidaten der konservativen EVP-Fraktion Manfred Weber verhindert hätten.

Ob von der Leyen den Posten tatsächlich erhält, muss sich allerdings noch zeigen. Denn das Amt des Kommissionspräsidenten muss noch vom EU-Parlament bestätigt werden. Bei sozialdemokratischen und grünen Europaparlamentariern stieß die Personalie bereits auf Widerstand.

Martin Schulz: Im Fall von der Leyen kann man sich nur an den Kopf fassen

Der frühere SPD-Chef und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte die Personalie scharf. "Ursula von der Leyen ist die schwächste Ministerin der Bundesregierung", sagte er dem Spiegel. "Eine derartige Leistung reicht offenbar, um Kommissionschefin zu werden." Wenn er sich anschaue, "mit welchen Argumenten gegen die Qualifikation von Timmermans und Manfred Weber für dieses Amt geschossen wurde, kann man sich im Fall von der Leyen nur an den Kopf fassen", so Schulz.

Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Terry Reintke, nannte das ganze Auswahlverfahren "grotesk". Anstatt die europäischen Wähler und Wählerinnen ernst zu nehmen, verhandelten die Regierungschefs "in Hinterzimmern" und beschädigten die europäische Demokratie. "Das Parlament wird dieses Paket auf keinen Fall blind absegnen", kündigte sie an.

Sozialdemokraten und Grüne hatten sich zusammen mit der Europäischen Volkspartei darauf festgelegt, nur einen der Spitzenkandidaten zur Europawahl zum EU-Kommissionschef zu wählen. Doch gab es weder für Weber noch für Timmermans ausreichenden Rückhalt im Kreis der EU-Staaten.

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