Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Europa wagt endlich den weiblichen Aufbruch

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Von der Leyen, Lagarde, Vestager: Drei Frauen sollen künftig die Geschicke der EU bestimmen. Das könnte dem Kontinent zu neuem Ansehen in der Welt verhelfen - und ist auch ein Verdienst von Angela Merkel.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Das laute Schimpfen über die Besetzung der europäischen Spitzenposten ist zunehmend ärgerlich. Statt sich mit rückwärtsgewandten Klagen aufzuhalten, gilt es den Blick nach vorne zu richten. Dann fiele auf, dass das Ergebnis der langen Verhandlungen der europäischen Staats- und Regierungschefs eine Sensation ist. Und zwar eine im positiven Sinne.

Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union sollen drei Frauen die Geschicke der Gemeinschaft maßgeblich lenken: Ursula von der Leyen, Christine Lagarde und Margrethe Vestager. Das allein wäre schon bemerkenswert. Aber es kommt noch besser.

Es stehen drei Kandidatinnen bereit, die in ihren Ämtern bewiesen haben, dass sie liberale Werte vertreten - und durchsetzen können. Die Europäische Union, die davon lebt, die Interessen unterschiedlichster Regierungen zu europäischen Kompromissen auszutarieren, bündelt in diesen drei Frauen nun ihre Werte und Überzeugungen, um sie in der Welt der Autokraten zu verteidigen. Endlich.

Erst vor ein paar Tagen, beim G-20-Gipfel im japanischen Osaka, war deutlich geworden, wie dramatisch viel Einfluss und Macht sich in den Händen einiger weniger (männlicher) Autokraten bündelt. Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan, der saudi-arabische Kronprinz und andere scheren sich nicht um internationale Vereinbarungen, sie zetteln Kriege mit Waffen oder Gütern an und pokern laut und brutal um die globale Macht. Europa hatte den Spielchen trotz tapferer Bemühungen der jetzigen EU-Spitzen immer weniger entgegenzusetzen.

Respekt dank Kompetenz und Kommunikationskunst

Mit der weiblichen EU-Spitze gibt es berechtigten Anlass zur Hoffnung, dass der Einfluss Europas deutlich größer wird. Natürlich werden sie nicht wie einst Jeanne d'Arc in den Kampf ziehen. Aber sie werden Europa mit ihrer Kompetenz, gepaart mit ausgewiesener weiblicher Kommunikationskunst, neuen Respekt verschaffen können. Dafür stehen zunächst die Biografien der drei Frauen, die als Chefinnen der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und als herausgehobene Kommissarin nominiert sind.

Christine Lagarde hat den Internationalen Währungsfonds über Jahre geräuschlos geleitet und nebenbei modernisiert. Sie hat das Kunststück fertiggebracht, Trump zu kritisieren und dennoch von ihm respektiert zu werden. Als Chefin der Europäischen Zentralbank wird sie den Euro durch unruhige Zeiten führen müssen.

Ursula von der Leyen, als Präsidentin der EU-Kommission nominiert, ist in der Bundeswehr wohl nicht besonders beliebt; das allein ist aber kein Grund, sie als schlechteste Ministerin Deutschlands zu kategorisieren, wie es jener SPD-Politiker tut, der vor ihr Kommissionspräsident werden wollte - es aber nicht schaffte.

Von der Leyen steht dafür, ungewöhnliche Wege zu gehen. Sie ist 2005 mit Angela Merkel in die Bundesregierung als Ministerin eingezogen - und über die Jahre geblieben. Sie hat die verkrustete westdeutsche Familienpolitik beherzt aufgebrochen. Elterngeld, Kitas, Frauenquote stehen auf ihrer Haben-Seite.

Die Dänin Margrethe Vestager wiederum hat Macht, Einfluss und Sympathien auf sich gezogen, weil sie den Mut hatte, mächtige US-Konzerne zu zwingen, europäische Regeln anzuerkennen. Es ist nur folgerichtig, dass Vestager als Erste Vizepräsidentin einen herausgehobenen Platz in der kommenden EU-Kommission bekommt. Vestager ist auch für die innereuropäische Machtbalance wichtig.

In der Tradition Europas ist es ungewöhnlich, dass Deutschland und Frankreich, die beiden einflussreichsten Staaten, auch noch die beiden wichtigsten Ämter, nämlich den Vorsitz von Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank, übernehmen. Umso mehr stehen von der Leyen und Lagarde in der Verantwortung, die anderen 26 Staaten einzubinden. Dabei wird Vestager eine entscheidende Rolle spielen, weil sie als Dänin um die Interessen der vielen anderen Staaten weiß.

Die Krise Europas muss recht groß sein, wenn Damen übernehmen dürfen

Ja, sicher wird es jetzt Einwände geben, dass ein weibliches Europa auch keine Garantie für Erfolg ist. Ja, das stimmt. Aber es ist den Versuch wert, genau diesen weiblichen Aufbruch zu wagen. Man kommt auch nicht an der Erkenntnis vorbei, dass die Krise Europas schon recht groß sein muss, wenn jetzt Damen übernehmen dürfen. Schließlich lehrt die Erfahrung, dass es meist eines riesigen, von männlichen Vorgängern angerichteten Dilemmas bedarf, um Frauen in Spitzenjobs zu hieven.

Lagarde ist das beste Beispiel dafür - sie kam nur deshalb ins Amt, weil ihr Vorgänger über Sex-Affären gestolpert war. Diese Erfahrung hat auch diejenige gemacht, die schlussendlich maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die EU weiblicher wird: Angela Merkel. Die ostdeutsche Quereinsteigerin nutzte einst die Krise um die schwarzen Kassen der CDU, um nach der Macht zu greifen - und gewann.

Merkel hat sich in den vielen Jahren als deutsche Bundeskanzlerin nicht dadurch hervorgetan, dass sie Frauen besonders befördert hätte; im Gegenteil. Erst nach dem angekündigten Rückzug aus den politischen Ämtern ist zu beobachten, dass sie sich frei genug fühlt, sich um ihre Nachfolgerinnen zu kümmern. Sie hat in von der Leyen und Lagarde zwei ihrer engsten Vertrauten in die wichtigen europäischen Jobs nominieren lassen. Damit hat sie ihr Vermächtnis weitergegeben. Und Europa einen großen Verdienst erwiesen.

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