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Drohende Sanktionen gegen Moskau:Russlands Rosskur - wer profitieren könnte

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Moskau stellt sich wegen seines Vorgehens auf der Krim auf schwere Wirtschaftssanktionen ein. Der Kurs des Rubel kennt nur eine Richtung: steil bergab. Doch Präsident Putin scheint das keineswegs zu stören - und einige Akteure würden auch im Fall von Strafmaßnahmen gut verdienen.

Von Julian Hans, Moskau

Das Weiße Haus an der Moskwa strahlt friedlich in der Frühlingssonne, aber hinter den dicken Mauern kommen die Minister derzeit täglich zur Krisensitzung zusammen. Russlands Regierung stelle sich auf Sanktionen ein, die im schlimmsten Fall so weit gehen könnten wie die Maßnahmen gegen den Iran, berichtet die Wirtschaftszeitung Wedomosti unter Berufung auf mehrere hohe Beamte.

Ex-Finanzminister Alexej Kudrin warnte in einem Interview, das vom Wirtschaftsministerium mit zweieinhalb Prozent angesetzte Wachstum könne auf null zurückgehen. Auch wenn sich der derzeitige Wirtschaftsminister Alexej Uljukajev noch am Samstag gelassen gibt und davon ausgeht, dass Sanktionen gegen sein Land wahrscheinlich keine großen Auswirkungen haben dürften - die Börse nimmt die Schläge, die das Land bald treffen könnten, bereits vorweg. Seit Präsident Wladimir Putin vor zwei Wochen freie Hand für einen Militärschlag gegen die Ukraine bekam, kennen die Kurse nur eine Richtung: steil bergab. Am Freitag gaben sie in der ersten Tageshälfte erneut um fünf Prozent nach.

Staatstreue Medien verbreiten derweil nach Kräften Optimismus: "Der Verfall des Rubels macht den Russen keine Angst" wusste die kremlfreundliche Iswestija Mitte der Woche zu berichten. Dollar und Euro erreichten zwar täglich neue Rekordhöhen, seit Jahresbeginn hat die Landeswährung ein Zehntel ihres Wertes eingebüßt, aber von Panik sei keine Spur, die Menschen seien mit ihren Gedanken bei der Ukraine. Ein Beamter erklärte sogar, die Sanktionen hätte auch ihre gute Seite: Sie würden die Wirtschaft zwingen, sich schneller zu modernisieren und damit das Investitionsklima heben.

Dass sich Russland durch das Vorgehen in der Ukraine selbst schadet, ist weniger ein Grund zur Genugtuung als zur Sorge: Wenn Putin bereit ist, auch größere Schäden für das eigene Land hinzunehmen, was treibt ihn dann? Die rationale Seite ist bekannt, Putin hat sie bereits 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz dargelegt und seitdem oft wiederholt: Eine weitere Ausdehnung der Nato auf Länder der ehemaligen Sowjetunion wird Russland nicht dulden und auch das Auftreten der EU empfindet er als Einmischung.

Die emotionale Seite kommt ins Spiel

In Georgien konnte Russland das verhindern, indem es die Abspaltung der Regionen Abchasien und Nordossetien unterstützte. In Kiew schien Viktor Janukowitsch ein Garant dafür zu sein, dass das nicht passiert - bis er zum zweiten Mal durch eine Revolution gestürzt wurde. In diesem Moment kam die emotionale Seite ins Spiel. Putin bleibt so lange berechenbar, solange er mit seiner Strategie Erfolg hat. Wenn er aber Niederlagen erleidet und sich hintergangen fühlt, reagiert er irrational. Dass er am 21. Februar telefonisch seine Zustimmung zur Vereinbarung zwischen Janukowitsch und der Opposition gab und diese am nächsten Tag Makulatur war, muss Putin, für den persönliche Loyalität über alles geht, gekränkt haben. Dass die neue Regierung sich gleich daran machte, den Gebrauch der russischen Sprache einzuschränken, war dann die Steilvorlage für die Operation "Schutz der bedrohten Russen" - auch wenn das Gesetz am Ende nicht verabschiedet wurde.

Umfragen legen nahe, dass die meisten Russen dieses Vorgehen nachvollziehen können: Die Unterstützung für den Präsidenten ist auf dem höchsten Stand seit seiner Rückkehr ins Amt vor zwei Jahren. In einer Umfrage, die das unabhängige Levada-Zentrum am vergangenen Wochenende durchführte, äußerten mehr als 72 Prozent ihre Unterstützung für das Staatsoberhaupt. Allerdings erklärten nach wie vor nur 32 Prozent, sie würden bei den nächsten Wahlen wieder für ihn stimmen.

Die Berichte des Fernsehens treffen einen Nerv, der die Russen und ihre Führung verbindet: Mehr als jeder Zweite ist der Ansicht, Russen und Ukrainer seien ein Volk. Die Darstellung von der Revolution in Kiew als gewaltsamen Umsturz antirussischer und nationalistischer Extremisten weckt offenbar auch in ihnen ein Gefühl der Bedrohung, erst Recht nachdem die Großväter einst selbst unter großen Entbehrungen den Faschismus bekämpft haben.

Schizophrene Wahrnehmung

Die Wahrnehmung des Konflikts in der Ukraine habe etwas schizophrenes, sagt Alexej Graschdankin, der stellvertretende Levada-Chef. "Eine Mehrheit sagt, sie sei gegen den Zerfall der Ukraine. Gleichzeitig bekunden 45 Prozent, dass sie einen Beitritt der Krim zur Russischen Föderation befürworten". Die großen Widersprüche in den Einstellungen erklären die Forscher auch mit der Propaganda des russischen Staatsfernsehens. So würden 70 Prozent der Befragten bekennen, dass sie nicht verstehen, was in der Ukraine vor sich geht. Gleichzeitig erklärten aber 63 Prozent, dass sie sich von den staatlichen Sendern gut informiert fühlten.

Unabhängige Informationsquellen werden seit Wochen systematisch zerstört. Kabelnetzbetreiber mussten den liberalen Sender Doschd aus dem Programm nehmen, nun erreicht er statt 20 nur noch zwei Millionen Haushalte und steht kurz vor dem Bankrott. Am Donnerstag wurde die Chefredakteurin der populären Nachrichtenseite lenta.ru entlassen und durch einen Kreml-Mann ersetzt. Fast die komplette Redaktion kündigte.

Seit Donnerstagnacht haben die Behörden zudem fünf weitere Webseiten wegen "extremistischer Äußerungen und Aufruf zu nicht genehmigten Protesten" blockiert, darunter den Blog des Korruptionsgegners Alexej Nawalny. Immerhin: Trotz Repressionen konnten Kriegsgegner für Samstag einen Friedensmarsch durch Moskau anmelden.

Profitieren Firmen im Umfeld des Kreml?

Am Freitag machten erste Namen die Runde, die auf einer Sanktionsliste der EU stehen könnten, darunter Geheimdienstchef Alexander Bortnikow, sowie Sergej Glasjew und Wladislaw Surkow, die für Moskau in der Ukraine die Fäden gezogen haben. Wie stark Einreiseverbote und Kontensperrungen wirklich Putins Position im engen Zirkel der Macht erschüttern ist umstritten. Die Agentur Wealth-X berechnete, dass allein die zehn reichsten russischen Oligarchen in der vergangenen Woche zusammen etwa 6,6 Milliarden Dollar verloren haben, weil die Kurse ihrer Unternehmen abrutschten.

Andererseits gibt es Berichte, die darauf hindeuten, dass diejenigen im Umfeld des Kreml mit einem Beitritt der Krim gewinnen könnten, die an dem Verdienen, was bei staatlichen Großaufträgen abfällt. Wenn Brücken, Straßen und Grenzbefestigungen gebaut werden müssen, ist das zwar teuer für den Haushalt, aber ein gutes Geschäft für die beteiligten Firmen. Nach Sotschi habe man schon gefürchtet, dass der Markt einbrechen könnte, sagt ein Mitarbeiter im Management einer großen staatlichen Baufirma der Süddeutschen Zeitung. "Jetzt sind wir sehr optimistisch, wieder gute Geschäfte zu machen."

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Quelle:
SZ vom 15.03.2014/
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