Süddeutsche Zeitung

Die Grünen:"Jeder wurschtelt vor sich hin"

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Die Kritik an der neuen Grünen-Spitze in Berlin wächst, manche halbgare Debatte muss mühsam wieder eingefangen werden. Es fehlt ein Konzept, eine strategische Abstimmung. Doch wer gibt die Richtung vor?

Von Stefan Braun, Berlin

Richtig gut soll dieser Auftritt werden. Das hat sich Anton Hofreiter vorgenommen. Am Abend zuvor hat die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten einen Kompromiss zum Erneuerbare-Energien-Gesetz ausgehandelt. Merkel konnte mal wieder behaupten, dass sich "alle am Tisch einig gewesen" seien. Sätze sind das, die jeder Opposition wehtun. Also steht der Fraktionschef der Grünen am nächsten Tag vor Journalisten und hält dagegen. Mit strenger Stimme erklärt er, dass hier "im falschen Rahmen schlimme Giftzähne gezogen wurden". Er konstatiert ein bisschen Verbesserung für ein falsches Gesetz. Und er schließt mit den Worten, dass er den beteiligten grünen Landesministern trotzdem zum Erreichten sehr gratuliere.

Eine Woche ist der Auftritt her. Und Hofreiters Worte wirken auch sieben Tage später nicht besser. Giftzähne sind gezogen! Aber der Rahmen ist falsch! Gratulation! Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man das als bösen Zynismus verbuchen. Tatsächlich aber stellte der 44-jährige Bayer so unabsichtlich wie eindrucksvoll unter Beweis, in welcher unangenehmen Lage die Grünen-Spitze sich derzeit befindet.

Das Interesse an der Partei ist im Augenblick, gelinde gesagt, bescheiden. Trotzdem wächst die Kritik an der neuen Berliner Führung. Und genau dann passiert etwas, das ihr strategisches Dilemma offenlegt. Während Landespolitiker wie Winfried Kretschmann im Südwesten oder Robert Habeck in Schleswig-Holstein eine Einigung mit der Kanzlerin anstrebten und jetzt den eigenen Anteil daran loben wollen, bleibt die Bundespartei kritisch. Erstmals bricht auf, was den Grünen noch häufiger droht: ein Riss zwischen etablierten Landesministern und einer Führung, die im Bund um ihre Autorität kämpft. "Kretschmann lobt den Kompromiss, das ist okay", sagt einer aus der Parteispitze, "aber wir wollen den normativen Bogen spannen, 2017 den richtigen Energiekonsens durchsetzen. Wir können das nicht als Erfolg verkaufen." Bleibt die Frage, ob sich die Menschen für den "normativen Bogen" auch in drei Jahren noch interessieren.

Eine Führung, die sich neu finden muss

Der Konflikt zeigt die unterschiedliche strategische Einschätzung der Lage. In den Ländern ahnen viele, dass die Energiewende als Thema womöglich bald passé, weil im Konsens mit dem Bund auf dem Weg ist. Die Berliner wehren sich dagegen, weil sie das große Thema Energie noch nicht aufgeben möchten. Zu groß war jahrzehntelang seine verbindende Wirkung. Der Unterschied lässt erahnen, dass die Grünen doch eine föderalere Partei sind, als sie lange dachten. In der mehr als dreißigjährigen Geschichte dominierte meist die Partei- und Fraktionsspitze. Noch nie standen so viele regierende Grüne in den Ländern einer Führung in Berlin gegenüber, die sich in neu finden muss. "Alle anderen Parteien haben sich nach großen Krisen meistens aus den Ländern heraus erholt", meint ein stellvertretender Regierungschef, "warum soll das nicht auch bei uns passieren?"

Diese Frage will sich die doppelte Doppelspitze in Berlin noch nicht stellen. Natürlich haben sich Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt in der Fraktion und Simone Peter und Cem Özdemir in der Partei auch deshalb wählen lassen, weil sie die Grünen anführen wollen. Allein, von Führung ist bis jetzt nicht viel zu erkennen. Stattdessen geht es immer wieder wild durcheinander. Mal, weil die Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae einen Neubeginn in der Steuerpolitik fordert, obwohl sie weiß, dass diese Debatte intern schon organisiert wird. Oder wenn Reinhard Bütikofer in der Ukraine-Krise die Linke Sahra Wagenknecht attackiert und sich viele Grüne davon distanzieren möchten. Gut organisiert sind dabei nur die Bemühungen, den Streit nach der Panne wieder unter Kontrolle zu bringen.

In der Aufregung um eine Null-Promille-Grenze ist freilich auch das schiefgelaufen. Nachdem der Verkehrsexperte Stephan Kühn die Idee lanciert hatte, bemühten sich alle, still zu bleiben, um die Debatte auszutrocknen. Doch als ausgerechnet Simone Peter in einem Interview Sympathie für den Vorschlag zeigte, geriet die Ruhe ins Wanken. Weil alle anderen begriffen, wie gefährlich der Vorstoß für die als Verbotspartei gescholtenen Grünen werden könnte, erklärte Peters Ko-Vorsitzender Cem Özdemir, dass alle, die in der Partei was zu sagen hätten, von der Idee überhaupt nichts hielten. Die Rettungsmaßnahme musste zur Strafaktion werden.

Das legt offen, woran die Grünen-Spitze am meisten leidet. "Es gibt keine strategische Abstimmung, es gibt kein Machtzentrum", klagen führende Bundestagsabgeordnete. "Jeder wurschtelt vor sich hin", ist in diesen Tagen vielerorts zu hören. Mal gebe es hier 'ne Idee, mal dort 'ne Kritik. Was fehle, sei eine klare Strategie, wie man die Regierung angreifen möchte. Inzwischen haben die vier verstanden, dass sie was ändern müssen. Jeden Morgen schalten sie sich telefonisch zusammen, um sich abzusprechen und vor Ausrutschern zu schützen. Außerdem treffen sie sich für Planungen regelmäßig zu sechst, mit dabei sind die Geschäftsführer in Fraktion und Partei, Britta Haßelmann und Michael Kellner. Beide stehen weniger im Fokus - und leisten beim Zusammenhalten des Ladens derzeit am meisten. Sie sind es, die die Parole "Ruhe und Gelassenheit" ausgeben, verbunden mit Botschaften wie der von Kellner, dass es "jetzt bestimmt nicht um die Frage geht, wer 2017 Spitzenkandidat sein wird".

Doch so sehr sich alle mühen, derzeit wirken die vier an der Spitze nicht entspannt, sondern angeschlagen. Seit die Kritik an ihnen schärfer wird, verhärten sie in ihren Reden, wirken in den Auftritten bemühter und verbissener als zum Start in die neue Zeitrechnung.

Das fällt besonders auf, wenn man in diesen Tagen Claudia Roth oder Renate Künast begegnet. Die beiden sind dermaßen gut gelaunt und tiefenentspannt, dass es den anderen fast wehtun muss. Roth tourte gerade als Bundestagsvizepräsidentin zum zweiten Mal durch den Nahen Osten, sie tut jetzt wirklich das, was sie möchte. Und Künast plaudert so gelassen über dieses und jenes und die Lage der Grünen, dass man sich manchmal leise fragt, ob das noch der gleiche Mensch ist.

Etwas Tröstliches hat das für die neue Spitze freilich schon: Erst ihre neue Leichtigkeit des Seins führt vor Augen, unter welch enormem Druck auch Roth und Künast viele Jahre standen.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2014
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