Süddeutsche Zeitung

Deutsche Einheit:Für Thatcher war Deutschland eine gefährliche Kröte

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"Mehr Macht als Hitler": Neu veröffentlichte Akten belegen, wie ängstlich London und Paris 1989/90 einer Wiedervereinigung Deutschlands gegenüberstanden.

Oliver Das Gupta

Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel, war die Hausherrin in Downing Street 10 alles andere als amüsiert. Britanniens Premierministerin Margaret Thatcher bereitete die friedlichen Umwälzung in Ostdeutschland ernste Sorge.

Ein vereintes Deutschland sei nicht erstrebenswert, das tat die Eiserne Lady immer wieder kund. Doch wie vorurteilsschwanger und angsterfüllt die resolute Dame und ihr Umfeld den Deutschen gegenüber dachte, wurde erst in diesen Tagen bekannt: Die Süddeutsche Zeitung berichtete exklusiv (Ausgabe vom 5. September) über nun freigegebene Akten, die die hochemotionale Debatte in der britischen Regierung in jenen Wochen und Monaten der Wende belegen.

Man misstraute den Deutschen zutiefst - die Erinnerung an Berliner Expansionsgelüste waren hellwach. Im Foreign Office erinnerte man an die "alten Ängste über die dunkleren Seiten des deutschen Charakters".

Charles Powell, der einflussreichste Berater der Premierministerin, berichtete Thatcher im Februar 1990, wie "berauscht" und "euphorisch" man in der Bundeshauptstadt Bonn ob der Entwicklung in der DDR sei. Der Diplomat warnte vor einem Deutschland, das nun rücksichtslos werde, vor einer Bundesrepublik mit "Tunnelblick".

Es bestünde nun das "echte Risiko", dass sich die Wege Deutschlands und seiner langjährigen Partner trennen würden, notierte Powell. "Toad" sitze jetzt "am Steuer". Damit spielte er auf eine Figur aus einem englischen Kinderbuch an, einem linkischen Kröterich. Als der trottelige Lurch schnelle Autos lenken darf, wird er im Roman gemeingefährlich.

Thatcher fühlte sich durch solche Berichte in ihrem Deutschlandbild voll bestätigt: Die Deutschen waren für die Regierungschefin unberechenbar, zerrissen "zwischen Angriffslust und Selbstzweifeln", wie sie schrieb.

Einen weiteren interessanten Aspekt arbeitete die Financial Times aus dem vielhundertseitigen Aktenkonvolut des Londoner Außenamtes heraus. Neben Thatcher wurde 1989/90 auch der französischen Führung bange - vor allem Staatspräsident François Mitterrand.

Kohls diplomatischer Lapsus

In der Öffentlichkeit zelebrierte der Sozialist die deutsch-französische Verständigung, ebenso wie seine Männerfreundschaft mit dem Pfälzer Helmut Kohl - hinter verschlossenen Türen redete er zumindest in der Wendezeit schlecht über den Kanzler.

Kohl verstehe nicht die Empfindlichkeiten anderer Länder, schimpfte Mitterrand am 8. Dezember 1989, der Kanzler schlachte das Nationalgefühl der Deutschen aus. Der Präsident spielte damals auf einen diplomatischen Lapsus des Christdemokraten an: Wenige Tage zuvor hatte Kohl seinen Zehn-Punkte-Plan für eine Wiedervereinigung Deutschlands vorgestellt - ohne seine europäischen Partner vorab zu informieren.

Wenige Wochen später war der Groll auf Kohl im Élysée-Palast noch gewachsen: Am 20. Janaur 1990 sprach Mitterrand davon, dass die "schlechten Deutschen", die einst Europa dominierten, nun erneut groß erscheinen könnten.

Der Franzose fürchtete, Kohl könnte einen Weg einschlagen, der einem modernen Deutschland mehr Macht verschaffen würde, als Hitler jemals hatte. Dass sich Deutschland inzwischen vier Jahrzehnte lang als verlässlicher Partner gezeigt hatte und eine stabile Demokratie war, kümmerte Mitterrand offenbar wenig.

Kuhhandel mit Kohl

Stattdessen gab der Franzose dem Thatcher-Intimus Powell eine schrille Warnung an dessen Chefin mit: Bei territorialer Vergrößerung Deutschlands könnte der Kontinent auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückfallen - einer Ära, als das Reich vom größenwahnsinnigen Kaiser Wilhelm II. regiert wurde.

Mitterrands Alarmismus blieb ebenso folgenlos wie Thatchers Ängste: Sowjetführer Michail Gorbatschow stimmte dem Vereinigungswunsch der Deutschen zu, der US-Präsident George Bush, der Ältere, befürwortete das Ende der Teilung ohnehin.

Mitterrands Vorbehalte schwanden, nachdem er der Bundesregierung einen Kuhhandel abgerungen hatte: Sein Plazet zur Wiedervereinigung verküpfte er mit Bonns Zusage zu einer europäischen Gemeinschaftswährung - damit war Deutschland noch enger an Europa gebunden. Eine derart in die EU eingebettete Bundesrepublik war weit weniger furchteinflößend.

Und Thatcher? Sie wurde von ihrem Außenamt gedrängt, den Deutschen nicht im Wege zu stehen. Außenminister Douglas Hurd warnte davor, das Vereinigte Königreich würde nun als "Gegner, oder mindestens als eine Bremse" der Wiedervereinigung wahrgenommen. London drohte sich außenpolitisch zu isolieren, aufhalten konnte man nach dem grünen Licht aus Moskau und Washington den Lauf der Dinge ohnehin nicht.

Aus Hurds Ministerium wurde eine "positive Intervention" der Premierministerin gefordert. Alternativen seien schlecht für die Interessen Großbritanniens. Und: Eine anhaltende Feindseligkeit der britischen Regierung würde genau jenen Nationalismus in Deutschland befördern, den man verhindern wolle - und dem "sprunghaften (damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Oskar) Lafontaine Anti-Nato-Material" liefern, so heißt es in den Akten. Am Ende beteiligte sich Großbritannien doch an den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen.

Bleibt die Frage, warum White Hall gerade zum 20. Wende-Jubiläum die delikaten Vermerke öffentlich macht. Das ist ungewöhnlich - üblicherweise werden sie 30 Jahre unter Verschluss gehalten.

Es liegt nahe, dass sich die Diplomaten mit der Publikation selbst auf die Schulter klopfen wollen. Schließlich hat das Außenamt einst die störrische Premierministerin zur Aufgabe ihrer harten Haltung gedrängt. Wäre sie dabei geblieben, hätte Britannien dumm dagestanden.

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