Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Streiken vom Sofa aus

Lesezeit: 2 min

Gewerkschaften verlegen den Arbeitskampf ins Internet.

Von Benedikt Peters

Wer das Wort "Streik" hört, mag an wehende Fahnen denken. An Arbeitermassen, die in Trillerpfeifen pusten, Transparente tragen, Parolen skandieren. An Bilder wie von 1984, als die Metaller den Einstieg in die 35-Stunden-Woche erkämpften und die Plätze so voll waren, als gäbe Queen ein Gratiskonzert. Es sind solche Bilder, aus denen Gewerkschaften ihre Macht beziehen. Sie leben von der unausgesprochenen Drohung, die Arbeiter aus den Betrieben locken zu können, hin zur Kundgebung.

Mancher Gewerkschafter dürfte angesichts dessen die eine oder andere schlaflose Nacht gehabt haben, als im vergangenen Frühjahr die Corona-Pandemie heraufzog. Das Virus bedroht ja nicht nur das Leben und die persönlichen Freiheiten, es bedroht auch den guten alten Arbeitskampf. Zusammenstehen, Sprechchöre anstimmen, in Trillerpfeifen pusten - in Zeiten von Corona gibt es bessere Ideen. Die Gewerkschafter können den Arbeitskampf aber auch nicht einfach einstellen, dann könnten sie sich gleich selbst abschaffen. Zumal es ja gerade in diesen Zeiten viel zu tun gibt: Jobs sind bedroht, die Menschen in Kurzarbeit oder im Home-Office am Küchentisch. Die Gewerkschafter mussten sich also etwas einfallen lassen.

Nach 13 Monaten mit dem Coronavirus kennt die Bundesrepublik nun den Warnstreik per E-Mail-Abwesenheitsassistent. Die IG Metall nutzte ihn neulich während der Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. Wer einem Metaller eine Mail schickte, der bekam manchmal eine automatische Antwort: "Hallo Kollegen und Kolleginnen, aktuell befinde ich mich im Warnstreik. Mein Tipp: Lass' das Arbeiten für heute sein und beteilige dich auch am Streik, damit wir unsere Forderungen durchsetzen können."

Anzutreffen waren die Metaller auch bei Kundgebungen, meist allerdings nicht vor dem Werkstor, sondern zum Beispiel auf Warnstreik24.de. Von solchen Internetseiten aus schickten sie ihre Spitzen in Richtung Unternehmer, und mancher Gewerkschaftsboss kochte auch mal vor laufender Webcam ein Gericht mit reichlich Chili, um den Arbeitgebern "etwas Scharfes zu servieren".

Meist klappten die Livestreams einwandfrei, nur einmal drangen ein paar Stahl-Malocher aus Westfalen nicht durch mit ihren Forderungen: Sie hatten leider vergessen, das Mikrofon einzuschalten. Um sich nicht völlig im Digitalen zu verlieren - es muss ja auch ein paar gute Bilder geben -, ersannen die Gewerkschafter schließlich den Streik im Autokinoformat. Dabei parken die Teilnehmer ihre Wagen vor einer Bühne und begleiten die Reden der Gewerkschaftsbosse mit reichlich Gehupe. Und sie bleiben natürlich im Auto sitzen, um ausreichend Abstand zu halten.

Bleibt schließlich die Frage, ob das Streiken in Zeiten von Corona auch funktioniert. Schaut man auf die gerade durchgefochtene Metall-Tarifrunde, lautet die Antwort: Ja. Die IG Metall meldet mancherorts sogar mehr Streikteilnehmer als in früheren Jahren. Wobei das nicht unbedingt verwundern muss: Mit dem Laptop auf der Couch streikt es sich schließlich bequemer als vor dem Werkstor im Nieselregen.

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