Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Kommt die Impfkampagne jetzt in Fahrt?

Lesezeit: 5 min

Künftig sollen bundesweit Haus- und Fachärzte impfen können. Und mehr Impfdosen soll es auch geben. Wie die Praxen an die Vakzine kommen und was das für impfwillige Bürger bedeutet. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Jana Anzlinger

Bisher sind nur gut drei Prozent der Menschen in Deutschland vollständig geimpft. 6,4 Prozent haben eine erste Dosis erhalten. Etwa 7,9 Millionen Impfdosen wurden seit Start der Impfungen kurz vor dem Jahreswechsel verabreicht. Bundes- und Landesregierungen stehen wegen des langsamen Impftempos in der Kritik.

Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern haben sich am Mittwoch über Corona-Impfungen in den Hausarztpraxen beraten. Die bis zu 75 000 Praxen sollen künftig den Großteil der Impfungen übernehmen. Ab Mitte April sollen Hausärzte mit den Corona-Impfungen beginnen können. Am Donnerstag wird die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) voraussichtlich den Impfstoff von Johnson & Johnson zur Zulassung empfehlen. Kommt jetzt also Fahrt in die Impfkampagne? Und was heißt das alles für Ärzte und Patienten? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wo werden die Impfungen bislang verabreicht?

Bislang erfolgen die Impfungen vorrangig in Impfzentren, die von den Gesundheitsministerien der Länder organisiert sind. Zudem gibt es mobile Impfteams, die etwa in Alten- und Pflegeheimen im Einsatz sind.

In einigen Bundesländern laufen Modellprojekte für Impfungen in Arztpraxen.

Mit welchen Vakzinen wird in Deutschland geimpft?

Bislang wird mit den Impfstoffen der Hersteller Biontech/Pfizer, Moderna und Astra Zeneca geimpft. An diesem Donnerstag wird die EMA zudem voraussichtlich die Zulassung des Johnson-&-Johnson-Vakzins in der EU empfehlen. Eine baldige Zustimmung durch die EU-Kommission gilt als Formsache. Damit kann der Impfstoff auch in Deutschland eingesetzt werden. Erste Lieferungen hat das Unternehmen für April angekündigt. Zahlreiche weitere Corona-Impfstoffe befinden sich gerade in verschiedenen klinischen Testphasen.

Worin unterscheiden sich die Impfstoffe?

Die Produkte von Astra Zeneca und Johnson & Johnson sind sogenannte Vektor-Impfstoffe. Sie benutzen harmlose Viren, die sich nicht vermehren können, um genetische Baupläne von Bestandteilen der Coronaviren in menschliche Zellen zu schleusen. Die Zellen bilden daraufhin Bruchstücke von Coronaviren, die das Immunsystem gegen den Krankheitserreger mobilisieren. Die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna dagegen sind sogenannte mRNA-Impfstoffe. "m" steht für messenger (Bote), "RNA" für Ribonukleinsäure. Die mRNA ist die Bauanleitung für einen Bestandteil des Covid-19-Erregers. Sie wird in sogenannte Lipid-Nanopartikel verpackt, die ihre mRNA-Fracht ins Innere der menschlichen Zellen transportieren.

Ein weiterer großer Unterschied: Das Präparat von Johnson & Johnson muss - im Gegensatz zu den anderen - nur einmal verabreicht werden.

Wie viele zusätzliche Dosen werden in der kommenden Zeit erwartet?

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, dass die Zahl der gelieferten Impfdosen im zweiten Quartal deutlich steigen werde, im April auf fünf Millionen Dosen in der Woche. Im Juni könnten auch zehn Millionen erreicht werden. Das wäre mehr als die Menge, die seit Start der Impfkampagne Ende Dezember in Deutschland verimpft wurde, laut Robert-Koch-Institut bisher 8,2 Millionen Dosen.

Die EU-Kommission hat bereits Johnson-&-Johnson-Impfdosen für 200 Millionen Menschen bestellt. Davon würde Deutschland 36,7 Millionen erhalten.

Ab wann soll in Deutschland mit Johnson & Johnson geimpft werden?

Die Lieferungen an die EU sollen im April beginnen. Bis Ende Juni sollen EU-weit 55 Millionen Dosen verteilt werden; insgesamt soll der Konzern in diesem Jahr 200 Millionen Dosen für die EU produzieren. Allerdings konnte Johnson & Johnson bislang keinen Lieferplan präsentieren. Das Unternehmen hat Brüssel gewarnt, dass es Probleme mit den komplizierten, mehrere Kontinente umspannenden Zulieferketten geben könnte. Diese Warnung sei aber nur eine Vorsichtsmaßnahme, erklärte der Hersteller und sicherte zu, dass er sich an die Absprachen halten und ab April liefern werde. Dennoch bleiben Befürchtungen, dass das Unternehmen nicht rechtzeitig liefern könnte.

Ab wann sollen Kassen- und Fachärzte bundesweit impfen?

Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern haben sich am Mittwoch darauf verständigt, dass die Hausärzte spätestens Mitte April schrittweise beim Impfen eingebunden werden sollen. Ursprünglich war Anfang April angedacht. Die Länder bestanden aber darauf, dass die Impfzentren weiterhin mindestens 2,25 Millionen Impfdosen pro Woche erhalten sollen. Den genauen Termin werde Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten zeitnah festsetzen, teilte Regierungssprecher Seibert mit.

Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärt, als Nächstes würden zunächst die Hausärzte einbezogen, in einem weiteren Schritt dann die Betriebsärzte. Die bundesweit 12 000 Werksmediziner könnten "pro Monat etwa fünf Millionen Beschäftigte impfen", sagte die Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte, Anette Wahl-Wachendorf, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Die regionalen Impfzentren der Länder sollen parallel weiterarbeiten, Termine sollen bestehen bleiben.

Warum waren Arztpraxen bislang noch nicht bundesweit eingebunden?

Die Impfzentren und -teams sollten zunächst vor allem die Verteilung der sehr knappen Impfstoffe an die Patienten der Gruppen mit höchsten Impf-Prioritäten sicherstellen.

Einige Experten haben vor der allzu schnellen Einführung der Impfung in Praxen gewarnt. Thomas Mertens etwa, der Chef der Ständigen Impfkommission, sagte, dass es für Hausärzte schwieriger sei, die Priorisierung besonders gefährdeter Menschen einzuhalten.

Hinzu kommen weitere Herausforderungen in der Verteilung, Lieferung, Lagerung und Kühlung der Impfstoffe. Der Vorteil der Impfstoffe von Astra Zeneca und Johnson & Johnson ist, dass man sie bei Kühlschranktemperaturen von zwei bis acht Grad Celsius über Monate lagern kann.

Wie ist die Sicht der Ärzte?

Für die Hausärzte spricht, dass ihnen gerade ältere Patienten vertrauen und die Praxis meist leichter zu erreichen ist als das nächste Impfzentrum. Bei Impfungen gegen andere Krankheiten sind Hausärzte auch die Haupt-Anlaufstelle. Zudem würden die Kapazitäten der etwa 400 Impfzentren gesprengt, wenn sich die Zahl der gelieferten Impfdosen maßgeblich erhöhen würde.

Laut dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, stehen die Hausärzte längst bereit. "Lasst uns einfach impfen", forderte er am Mittwoch. Allerdings zweifelte Gassen die für April geplante Einbindung der Ärzte am Donnerstag an. "Ich würde da im Moment sehr vorsichtig sein", so Gassen im ZDF. Da der Impfstoff zunächst prioritär an die Impfzentren der Länder gehen solle, sehe er die Haus- und Fachärzte im April eher nicht im Impfgeschehen, weil sie zu wenig Impfstoff bekommen würden. "Sodass wir auf diese Ressourcen wohl erst im Mai zurückgreifen dürften und es bei dem bisherigen Impftempo bleiben dürfte."

Auch der Hausärzteverband macht Druck, den Impfstart in den Praxen vorzuziehen. Jeder Tag zähle, auch weil im Sommer die Impfbereitschaft abflauen könne, sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt dem Evangelischen Pressedienst. "Warum bis zum April warten? Wir stehen bereit", sagte der Repräsentant von mehr als 30 000 Hausärzten. Weigeldt begrüßte es als wichtigen Schritt, dass den Praxen bei der Priorisierung ein flexiblerer Umgang ermöglicht werden soll. Die Priorisierung sollte eine Leitlinie zur Unterstützung von Ärztinnen und Ärzte sein, "aber ein starres Festhalten an ihr ist einfach nicht möglich", sagte er. In den Praxen kenne man die Patienten: "Wir wissen, wer wie alt ist, welche Erkrankungen hat und haben zumeist auch einen Überblick über die beruflichen Hintergründe. Springt einer ab, rufen wir den nächsten Berechtigten auf der Liste an. So einfach ist das."

Wie sollen die Praxen an die Vakzine kommen?

Es soll, so haben die Gesundheitsminister vereinbart, ein bundeseinheitliches Vorgehen geben, um bekannte Vertriebswege zu nutzen. Das heißt: Die Praxen sollen den Impfstoff über den für sie gewohnten Weg über Apotheken und Großhandel beziehen.

Wie viele Impfungen sollen dadurch möglich werden?

Der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zufolge stehen fürs Impfen 75 000 Haus- und Facharztpraxen in Deutschland bereit. Wenn 50 000 Arztpraxen täglich jeweils 20 Impfstoffdosen verabreichten, könnten laut KBV allein dadurch bis zu fünf Millionen Impfungen in der Woche durchgeführt werden. Das von Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Aussicht gestellte Ziel von wöchentlich insgesamt bis zu zehn Millionen Impfungen stellte Kassenarzt-Vertreter Gassen wegen Kapazitäts- und Impfstoffmangels infrage.

Geht es mit dem Impfen nun also schneller als gedacht?

Bislang hatte die Bundesregierung versprochen, dass jeder impfwillige Bürger bis zum Ende des Sommers ein Impfangebot erhalten kann. Im Februar hatte die Bundeskanzlerin dieses Versprechen erneuert.

Wenn nun alles so kommt wie geplant - Zulassung von und Impfstart mit Johnson & Johnson, mehr gelieferte Impfdosen der anderen Hersteller, Einbeziehung der Hausärzte -, dann dürfte es ab April mit dem Impfen zumindest schneller gehen als bislang. Ob sich das wirklich so erfüllen wird, ist aber noch unklar.

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters.

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