Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Nichts gelernt?

Lesezeit: 2 min

Die Zahl der Corona-Fälle steigt dramatisch, auf den Intensivstationen wird es eng. Wieder steht das Wort "Lockdown" im Raum. Wie Bund und Länder das jetzt noch verhindern wollen.

Von Angelika Slavik, Berlin/Lindau

Einigkeit zwischen Bund und Ländern gab es in dieser Pandemie nicht oft zu sehen, am Freitagmittag allerdings war man sich einig über die Dramatik der Lage. "Vor uns liegen sehr schwere Wochen", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek (CSU), als Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz so etwas wie der Klassensprecher der Länderminister, nannte die Lage "teilweise dramatisch, besorgniserregend und alles andere als entwarnend". Die Situation in vielen Krankenhäusern sei ernst und verschärfe sich weiter. Deutschland, das war also die Analyse beim Treffen der Gesundheitsminister in Lindau am Bodensee, steckt mitten in der vierten Corona-Welle.

Die Frage ist also: Wie kommt man da wieder raus?

Als zentralen Beschluss verkündeten die Minister, es sollten künftig Booster-Impfungen für alle Menschen angeboten werden, deren Impfschutz sechs Monate oder älter ist. Das hatte Spahn schon tags zuvor mit den Ärztevertretern vereinbart, es sei aber ein wichtiges politisches Signal, das nun auch in diesem Kreis zu beschließen, war zu hören. Eine Inzidenz von 169,9 und mehr als 37 000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden, die das Robert-Koch-Institut am Freitagmorgen vermeldet hatte, schienen den Interpretationsspielraum für die Teilnehmenden zu begrenzen - zumal den Auffrischungsimpfungen in Israel große Erfolge im Kampf gegen ein Wiederaufflammen der Pandemie zugeschrieben werden. Die Daten aus Israel lägen erst seit Kurzem vor, sagte Spahn, nun wisse man aber, dass die Booster einen entscheidenden Unterschied machen könnten.

Für entscheidend im Kampf gegen die Pandemie hielten viele Menschen auch eine verpflichtende Corona-Impfung - in einer Umfrage von Infratest dimap sprachen sich erstmals mehr als die Hälfte der Befragten für eine allgemeine Impfpflicht aus. Die Zustimmung zu einer Impfpflicht für Angehörige bestimmter Berufsgruppen, wie etwa Pflegekräfte, ist noch höher: 74 Prozent finden das sinnvoll. Die Gesundheitsminister rangen sich dazu dennoch nicht durch. Es gebe zweifelsfrei eine "moralische Pflicht", sich impfen zu lassen, wenn man beispielsweise ältere Menschen pflege, so Spahn. Allerdings habe er Sorge, dass im Fall einer Impfpflicht viele ungeimpfte Pflegekräfte nicht mehr zum Dienst erschienen - das würde den Pflegenotstand weiter verschärfen. Die Stimmung im Land sei angespannt, sagte Spahn. Man müsse darauf achten, dass aus Spannung keine Spaltung werde.

Statt auf eine Impfpflicht einigte man sich in Lindau auf eine erweiterte Testpflicht: Personal und Besucher von Pflegeeinrichtungen sollten verpflichtend und regelmäßig getestet werden. Was genau "regelmäßig" heißt, blieb zunächst offen: Er fände tägliches Testen gut, sagte Spahn. Um Jobs in der Pflege attraktiver zu machen und die Personalsituation zu entspannen, sollte es außerdem Boni oder Steuererleichterungen für alle geben, die Covid-19-Patienten betreuen, sagte Landesminister Holetschek. Man müsse alles tun, um die Lage in der Pflege zu verbessern. Die Zahl der Intensivbetten ging im vergangenen Jahr auch deshalb zurück, weil der Krankenstand unter dem Personal hoch ist und viele dem Beruf den Rücken kehren - was allgemein als Folge ständiger Überlastung betrachtet wird.

In die Harmonie mischten sich freilich auch kritische Töne: Holetschek formulierte nicht ohne Hintergedanken, man befinde sich "mitten in einer Notlage" - das Auslaufen der sogenannten epidemischen Notlage, die die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP noch vor dem Beginn einer gemeinsamen Regierung beschlossen haben, gefällt ihm und vielen anderen Ländervertretern gar nicht. Allerdings war die Idee einer Abschaffung dieses Ausnahmezustands als Erstes vom noch amtierenden Minister Spahn gekommen. Trotz der steigenden Zahlen will die Ampel an der Abschaffung festhalten, war in Berlin zu hören - die Änderungen am Infektionsschutzgesetz sollen am 18. November im Bundestag beschlossen werden.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) findet die Anstrengungen insgesamt zu lahm, er forderte einen schnellen Bund-Länder-Gipfel in der kommenden Woche. "Wenn wir uns jetzt zu viel Zeit lassen, endet das wie im vergangenen Jahr", sagte Kretschmer, "mit einem Lockdown."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5457619
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.