Süddeutsche Zeitung

Corona in den USA:Trumps neue, alte Sündenböcke

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Von Alan Cassidy, Washington, und Benedikt Peters, Washington/München

Donald Trump nimmt die Corona-Pandemie zum Anlass, die Grenzen der USA für legale Einwanderer zu schließen. Der US-Präsident kündigte am späten Montagabend bei Twitter an, dass er die Einwanderung "vorübergehend" aussetzen werde. Trump schrieb auf Twitter, er werde ein Dekret unterzeichnen, um die amerikanischen Arbeitnehmer vor dem "Angriff des unsichtbaren Feindes" zu beschützen - womit er das Coronavirus meinte. Welche Einwanderer von dem Stopp betroffen sind, wie lange er dauert und wie er umgesetzt werden soll, will das Weiße Haus in den kommenden Tagen präzisieren. Am Abend hieß es, es solle Ausnahmen für Menschen geben, die eine Rolle im Kampf gegen die Epidemie spielen. Dazu gehörten Arbeiter in der Landwirtschaft und andere, die die Nahrungsversorgung der USA sicherstellten. Das sagte ein hochrangiges Regierungsmitglied am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters.

Der Schritt erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die USA weit mehr Coronavirus-Infektionen verzeichnen als alle anderen Länder. Zuletzt waren es gut 800 000 positive Fälle. Mehr als 43 000 Menschen sind bereits gestorben. Die Krise hat die USA auch wirtschaftlich hart getroffen. 22 Millionen Menschen haben sich arbeitslos gemeldet. Konservative Kreise hatten Trump schon seit einiger Zeit dazu gedrängt, einen Einwanderungsstopp zu verhängen. "Lasst uns diesen Menschen dabei helfen, wieder eine Arbeit zu finden, bevor wir noch mehr Einwanderer importieren, die ihnen die Jobs streitig machen", twitterte der republikanische Senator Tom Cotton.

Einwanderer sind wichtig für das Gesundheitswesen. Ein Viertel der Ärzte wurde im Ausland geboren

Faktisch ist die Einwanderung in die USA schon vor Wochen massiv zurückgegangen. Personen aus China, den Schengen-Staaten und anderen vom Coronavirus stark betroffenen Ländern dürfen nicht einreisen. Seit Mitte März stellen die US-Behörden kaum mehr neue Visa aus, und wann die Botschaften und Konsulate den normalen Betrieb wieder aufnehmen, ist offen. Auch Flüchtlinge nimmt das Land derzeit keine mehr auf, selbst Einbürgerungszeremonien sind ausgesetzt.

In der Landwirtschaft und im US-Gesundheitswesen spielen Einwanderer eine wichtige Rolle. Mehr als ein Viertel aller Ärzte wurde im Ausland geboren. Unklar ist auch, was Trumps Ankündigung für die vielen Tausend Mexikaner bedeutet, die täglich die Grenze überqueren, um in den USA legal zu arbeiten. Menschen mit Arbeitsvisum durften bisher weiterhin in die USA einreisen. Viele Mexikaner gehen aber auch informellen Tätigkeiten nach, etwa als Gärtner oder Kindermädchen. Für sie ist es seit Ende März schwierig, an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Die Ankündigung erlaubt es Präsident Trump, eines seiner Wahlkampfthemen mit der Pandemie zu verbinden. "Es geht hier gar nicht um Politik, es geht um die Botschaft, die der Präsident aussenden will", twitterte Ali Noorani, Chef der Organisation National Immigration Forum, die sich für die Rechte von Einwanderern einsetzt: "Er bringt die Leute gegeneinander auf." Mehrere Bürgerrechtsorganisationen haben bereits in Aussicht gestellt, den angekündigten Erlass gerichtlich anzufechten.

Auch die Demokraten kritisieren Trumps Einwanderungsstopp. Der Präsident wolle damit von seiner mangelhaften Antwort auf die Pandemie ablenken und die Schuld den Einwanderern zuschieben, sagte der Abgeordnete Jerry Nadler, einer der führenden Demokraten im Repräsentantenhaus. Es handle sich bei dem Schritt um eine "xenophobisch motivierte Suche nach Sündenböcken", twitterte der Abgeordnete Don Beyer. Laut aktuellen Meinungsumfragen beurteilt eine Mehrheit der Amerikaner Trumps Umgang mit der Pandemie negativ. Möglich also, dass der Einwanderungsstopp Trump dabei hilft, wenigstens seine Anhänger zu mobilisieren - auch wenn die Maßnahme angesichts ohnehin geschlossener Grenzen symbolisch bleibt. Ganz real sind dagegen die Folgen, denen besonders Migranten aus Zentralamerika schon jetzt ausgesetzt sind. Ihre Asylanträge behandelt die Regierung schon seit Ende März nicht mehr. Das bedeutet, dass Tausende von ihnen in mexikanischen Grenzstädten wie Matamoros und Ciudad Juárez festsitzen.

Seit Wochen wird befürchtet, dass der Ausbruch des Virus dort verheerende Folgen haben könnte. In den Lagern leben die Menschen beengt, es gibt nur wenig Trinkwasser und Sanitäranlagen. In ihrer Verzweiflung haben einige Migranten bereits ihre Kinder allein losgeschickt, um bei den US-Grenzbehörden um Asyl zu ersuchen. Früher wurden unbegleitete Minderjährige aufgenommen. Inzwischen werden aber auch die Kinder abgewiesen - mit der Begründung, sie könnten das Virus übertragen.

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Quelle:
SZ vom 22.04.2020
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