Süddeutsche Zeitung

Familienpolitik in der Pandemie:Alleine durch die Krise

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Familie zu haben, gilt in Deutschland als Privatsache, das haben Eltern in den letzten zwei Jahren deutlich zu spüren bekommen. Viele haben das Vertrauen in die Politik verloren.

Von Lilith Volkert, München

In wenigen Tagen fallen die meisten Corona-Einschränkungen, und den Eltern - zumindest jenen, die sich äußern - geht das entweder viel zu weit oder nicht weit genug. Das Netzwerk "Bildung, aber sicher" etwa findet es unverantwortlich, dass nun die Bundesländer entscheiden können, ob und wie lange Schüler noch Masken tragen müssen. Die "Initiative Familie" hingegen will, dass die Maskenpflicht an Schulen sofort bundesweit abgeschafft wird und die regelmäßigen Corona-Tests gleich mit. Beide berufen sich auf wissenschaftliche Studien. Beide wollen für den Nachwuchs nur das Beste.

Wie Kinder und Jugendliche möglichst gut durch die Pandemie kommen, fragen sich Eltern seit nunmehr zwei Jahren. Viele von ihnen nehmen Politiker oft als erschreckend unbeteiligt wahr, seit im März 2020 von einem Tag auf den anderen Schulen, Kindergärten und Krippen geschlossen wurden. Was der wochenlange Ausnahmezustand für berufstätige und vor allem alleinerziehende Eltern bedeutete, darüber wurde damals kaum gesprochen.

"Zur Improvisation gezwungen" untertitelte das Bundesinstitut für Bevölkerungsstudien seine Studie "Eltern während der Corona-Krise". Schon im Juni 2020 warnten Wissenschaftler darin, die familiäre Zusatzbelastung dürfe sich nicht "verstetigen". Dass es anders kam, haben seitdem diverse Studien und Elternumfragen dargelegt.

Wer vertritt die Interessen von Eltern, wenn die Politik es nicht tut?

Bereits im Jahr 2020 hat bei Eltern mit Kindern unter 15 Jahren das Vertrauen in die Bundesregierung und in die Demokratie allgemein gelitten - vor allem bei Müttern. Dies zeigt eine aktuelle Auswertung der Universität Bremen auf Basis von damaligen Daten der Bertelsmann-Stiftung. "Diese Entwicklung dürfte sich noch verstärkt haben", sagt die Soziologin Sonja Bastin, Mitautorin der Studie.

Seit dem ersten Lockdown haben Eltern wie Schüler etliche Monate Distanz- und Wechselunterricht durchgemacht, oft unter chaotischen Bedingungen. Nach dem Rücktritt von Familienministerin Franziska Giffey im Mai 2021 wurde das Amt nicht neu besetzt, sondern bis zur Bundestagswahl im September von Justizministerin Christine Lambrecht nebenher mit betreut. Im Wahlkampf spielte Familienpolitik keine Rolle. Verärgerte Mütter und Väter fragten sich, wer - wenn nicht die Politik - ihre Interessen eigentlich noch vertritt.

An elterlichem Engagement und Angeboten an die Politik habe es nicht gemangelt, sagt Christiane Gotte, Vorsitzende des Bundeselternrats: "Wir haben von Anfang an einen Master-Plan für sichere Schule gefordert und Vorschläge gemacht. In den ersten Monaten sind wir damit komplett ins Leere gelaufen." Auch später sei es nur quälend langsam vorangegangen.

Der Bundeselternrat berät, entscheidet aber nicht mit

Der Bundeselternrat vertritt die Eltern von mehr als acht Millionen Schülerinnen und Schülern. Die Mitglieder sind gewählte Landeselternvertreter, die Meinungsvielfalt ist groß, Stellungnahmen müssen häufig stark ausdifferenziert werden. Gotte hat früher als Mediatorin gearbeitet, das kommt ihr bei der Suche nach Kompromissen entgegen.

Das Gremium berät die Politik, darf aber nicht mitentscheiden. "Wir geben unsere Meinung ab und schauen dann, ob wir im Ergebnis etwas von unseren Vorschlägen wiederfinden", sagt Gotte. "Oft ist das frustrierend." Beispielsweise hat der Rat an der zuletzt im November aktualisierten S3-Leitlinie zum Pandemieschutz an Schulen mitgearbeitet - zusammen mit 29 anderen Organisationen. Immer wieder mussten in langen Stunden Entwürfe diskutiert und kommentiert werden - nichts für Ungeduldige, die Missstände beheben wollen.

Auch via Facebook oder Twitter fanden Initiativen zusammen, ob aus Wut auf Unterrichtsausfälle oder aus Furcht vor Präsenzunterricht. Mit harten Meinungsäußerungen konnten auch kleine Gruppen Aufmerksamkeit in den Medien erregen. So machte etwa im Frühsommer 2020 mit heftiger Kritik an den Schulschließungen die Gruppe "Familien in der Krise" von sich reden, aus der inzwischen die "Initiative Familien" hervorgegangen ist.

"Wir müssen endlich raus aus dieser Angstspirale und Kindern wieder ein normales Leben ermöglichen", fordert Vorstandsmitglied Sina Denecke noch heute. Die Kommunikationsmanagerin und Mutter von zwei Söhnen setzte sich früh dafür ein, dass Erwachsene die Last der Schutzmaßnahmen tragen sollen und Kinder unbehelligt bleiben.

Neben inhaltlicher Kritik gibt es im Internet gezielte Angriffe

Eine Handvoll Mütter, die ihre Kontakte zu nutzen wissen und professionelle Öffentlichkeitsarbeit betreiben, das wirkt auf manche offenbar verdächtig. Wegen ihrer Opposition gegen Corona-Auflagen mussten sich die Frauen mehrmals von Querdenkern distanzieren. Zudem wurde ihnen vorgeworfen, sie wollten im Namen aller Eltern die Interessen einer kleinen Gruppe durchsetzen.

Die Gruppe spreche für wirtschaftsnahe Verbände, die Eltern in der Pandemie am Arbeitsplatz sehen wollten, hieß es etwa. Belegt ist das nicht, der angebliche Strippenzieher, die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", steht nach eigener Aussage weder mit der "Initiative Familien" noch einzelnen Mitgliedern in Verbindung.

Knapp 15 Millionen Erwachsene leben in Deutschland mit mindestens einem minderjährigen Kind zusammen. Die "Initiative Familien" tritt laut auf, hat aber nur etwa 250 aktive Mitglieder. Auch das Netzwerk "Bildung, aber sicher", das gegenteilige Ansichten vertritt und etwa auf die Risiken einer Corona-Infektion für Kinder hinweist, beruht auf lediglich rund 50 aktiven Müttern und Vätern.

Seinen Ursprung nahm das Netzwerk auf Twitter. Dort begann die Weimarer Wissenschaftshistorikerin Sabine Reißig im Juni 2020 unter dem Hashtag #BildungAberSicher auf die schwierige Lage von Familien mit vorerkrankten Kindern aufmerksam zu machen. Schnell entwickelte sich daraus eine Elterngruppe, die für einen besseren Infektionsschutz an Schulen und in Kitas eintritt und Eltern bei der Suche nach Ärzten unterstützt, die Kinder auch ohne Stiko-Empfehlung gegen Covid-19 impfen.

Wenn sich Eltern untereinander bekämpfen, kann sich die Politik der Kritik entziehen

13 000 Interessierte folgen "Bildung, aber sicher" auf Twitter. Das Netzwerk versucht, bei Landespolitikern für die Aussetzung der Präsenzpflicht und für Finanzhilfen besonders belasteter Familien zu werben und stützt sich dabei auf das Bewusstsein, für Tausende gleichgesinnte Eltern zu sprechen.

Kinder vor Corona schützen, Kinder vor Bildungsverlust schützen - wo immer in diesem Spannungsfeld diskutiert wird, entwickelt sich leicht ein emotionaler Schlagabtausch daraus. Das kann so wirken, als seien die schlimmsten Feinde von Eltern andere Eltern.

"Dabei wollen im Grunde doch alle Eltern das Gleiche", sagt Soziologin Bastin von der Universität Bremen. "Die Politik soll ihre Sorgen ernst nehmen und sich verantwortungsvoll um ihr Wohl und das ihrer Kinder kümmern." Das habe sie nach Ansicht vieler nicht getan, aber wenn sich kritische Eltern untereinander bekämpfen, komme das säumigen Politikern entgegen. Es erleichtert ihnen, sich der Kritik zu entziehen.

"Familie zu haben, gilt in Deutschland als Privatangelegenheit", sagt Bastin. Das habe die Pandemie überdeutlich gezeigt. In der Corona-Krise mussten Eltern ihre Probleme hauptsächlich selbst lösen, die Politik kümmerte sich weitaus mehr um andere Gruppen. Gefährlich findet das die Soziologin, denn in Familien würden grundlegende Einstellungen an künftige Generationen weitergegeben. "Wenn sich viele Eltern enttäuscht von der Politik abwenden, hat das Folgen für die ganze Gesellschaft."

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