Süddeutsche Zeitung

Demonstrationsrecht:Politiker sorgen sich wegen Radikalisierung der Corona-Proteste

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In etlichen Städten demonstrierten Tausende gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Umfragen zeigen sie als Minderheit, viele Politiker aber sehen in einer Allianz aus Verschwörungstheoretikern und Radikalen eine gefährliche Entwicklung.

Von Detlef Esslinger und Kristiana Ludwig, Berlin

Die jüngsten Demonstrationen gegen Beschränkungen des öffentlichen Lebens haben viele Politiker nervös gemacht - das war am Montag schon an der Anzahl der Wortmeldungen zu erkennen.

Der Grundton: eine gewisse Ratlosigkeit. Exemplarisch war, was Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte. Es sei schwierig, inhaltlich mit den Protesten umzugehen: "Wie soll ich denn auf diese haltlosen Verschwörungen reagieren? Wie soll ich auf Impfgegner reagieren, wenn es gar keine Debatte über einen Impfzwang gibt, oder überhaupt erst ein Impfmittel?"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) appellierte an die Gesamtheit der Bürger: Es werde nötig sein, "dass bei all den Lockerungen die Menschen sich an die Grundgebote halten: also Abstand, Mundschutz tragen mit Nasenschutz. Aufeinander Rücksicht nehmen." Politikern, aber auch Fachleuten in Behörden und Universitäten bereiten zwei Entwicklungen Sorgen: wie anfällig manche Menschen für Verschwörungstheorien sind und dass Extremisten die Proteste kapern könnten.

Regierungssprecher Steffen Seibert war am Montag zunächst bemüht, die Relationen klarzumachen. Zu manchen Protesten kämen einige Hundert Teilnehmer, zu anderen einige Tausend. "Daraus kann man unmöglich hochrechnen auf die Überzeugungen von 83 Millionen Menschen in Deutschland."

Expertin twittert: "20 Prozent halten alles Impfen für eine Verschwörung"

Seibert dürfte sich bestätigt fühlen durch das Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom Wochenende. Demzufolge finden nur elf Prozent der Deutschen, die Lockerungen hätte es besser schon früher geben sollen - und 81 Prozent beurteilen die Arbeit der Bundesregierung in der Corona-Krise als "eher gut".

Ein solch hoher Wert und zum Teil militante Proteste schließen einander jedoch offenbar nicht aus. Seibert diagnostizierte "hasserfüllte Stereotype, die entweder auf einen Sündenbock hinauslaufen oder auf eine Art Weltbösewicht".

Die Mainzer Psychologin Pia Lamberty, die zu Verschwörungsideologien forscht, fasste auf Twitter die Ergebnisse mehrerer Studien zusammen: Acht Prozent der Deutschen glaubten, "geheime Organisationen" hätten Einfluss auf Entscheidungen. Neun Prozent hielten HIV und 20 Prozent das Impfen generell für eine Verschwörung. Jeder Vierte glaube, Medien und Politik würden "gezielt" vertuschen.

Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts, ergänzte, linke und rechte Extremisten hätten das Thema Corona "dankend aufgenommen".

Aus CDU-Kreisen war zu hören, dass man mit Sorge solche Demonstrationen beobachte, bei denen Verschwörungstheoretiker und Impfgegner gemeinsam mit AfD und Pegida protestierten, angefeuert von "russischen Bots" - und ohne jede Rücksicht auf Ansteckungsgefahren.

Generalsekretär Paul Ziemiak sagte der Augsburger Allgemeinen: "Wir lassen nicht zu, dass Extremisten die Corona-Krise für ihre demokratiefeindliche Propaganda missbrauchen." SPD-Chefin Saskia Esken hält wenig davon, die Proteste aus dem Milieu einfach zu ignorieren. "Wegschauen und schweigen hilft nicht", sagte sie. "Hier müssen wir gegenhalten und uns als streitbare Demokraten erweisen."

Erneuter Ärger um thüringischen FDP-Landesvorsitzenden

Derweil hat die FDP in dieser Sache ein besonderes Problem. Ihr Vorsitzender in Thüringen, Thomas Kemmerich, hatte sich im Februar dort von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Dieses Amt ist Kemmerich zwar längst wieder los, am Samstag jedoch sprach er bei einer Demonstration in Gera, die auch Vertreter der AfD sowie offen rechtsextremistischer Gruppen anzog.

FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg erklärte, ihr fehle "jegliches Verständnis dafür, wenn der Abstand" zu Extremisten "nicht ausreichend eingehalten" werde. Parteichef Christian Lindner fand, Kemmerich habe das "Anliegen einer seriösen Partei der Mitte" geschwächt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus dem Bundesvorstand forderte Kemmerich auf, die Partei zu verlassen. Dass dieser seine Teilnahme bereits am Sonntag als Fehler bezeichnet hatte, reichte ihr offenkundig nicht.

Was das Impfen gegen Corona betrifft, gab es am Montag eine Neuigkeit aus dem Forschungsministerium: Der Bund will bis zu 750 Millionen Euro in einen Impfstoff investieren.

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SZ vom 12.05.2020
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