Süddeutsche Zeitung

Sekte:Italien lässt Ex-Führungsmitglied der Colonia Dignidad frei

Lesezeit: 2 min

Reinhard Döring war im Urlaub verhaftet worden, er sollte nach Chile ausgeliefert werden. Opfer und Menschenrechtler sind entsetzt.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Würde dieser Fall der Colonia Dignidad ausnahmsweise anders enden als die meisten Fälle dieser kriminellen Vereinigung, dann stünde Reinhard Döring vermutlich ein Prozess bevor. Der 75-Jährige zählte zum Führungskreis der deutschen Horrorriege in Chile, ihm werden schwere Verbrechen vorgeworfen. Kürzlich wurde der Deutsche im Urlaub in Italien verhaftet und sollte nach Chile ausgeliefert werden. Doch nun soll sich Döring wieder nach Deutschland abgesetzt haben, in den sichersten Hafen für Angeklagte oder Verurteilte seiner Riege.

Chile beschuldigt das ehemalige Führungsmitglied der Kolonie, 1976 an der Entführung von drei Regimegegnern der damaligen Militärdiktatur beteiligt gewesen zu sein. Ermittlungen entkam er 2005 durch Flucht ins Rheinland, wo etliche ehemalige Kolonisten leben. Der internationale Haftbefehl wird von den deutschen Behörden ignoriert. Festgenommen wurde Döring nun überraschend Ende September am Mittelmeer, er machte Ferien. Chile verlangt seine Überstellung, aber inzwischen durfte er das Florentiner Gefängnis verlassen. Was ist diesmal passiert?

Der chilenische Auslieferungsantrag ging dem Vernehmen nach am 18. November in Rom ein, innerhalb der zunächst 60 Tage gültigen U-Haft. Chiles Oberster Gerichtshof hatte fristgemäß zugestimmt. Döring wäre fortan in Auslieferungshaft gesessen, während die italienischen Behörden über das Gesuch befinden. Bei einem Haftprüfungstermin sorgte allerdings ein Anwalt vor wenigen Tagen dafür, dass Döring aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend freikam. Inzwischen hat Italiens Polizei laut chilenischen Medien bestätigt, er sei nach Hause gefahren, nach Deutschland.

"Die Colonia gewinnt immer"

Opfer und Menschenrechtler sind entsetzt, die Straflosigkeit scheint sich immer weiter fortzusetzen. Den Colonia-Experten Jan Stehle erinnert die Causa Döring an die des Diktators Augusto Pinochet, der 1998 in London festgesetzt worden war und seiner Auslieferung nach Spanien entkam, indem ihn die britische Regierung 2000 nach Chile entließ. Vor allem aber ist dies für den Politologen Stehle die frustrierende Fortsetzung vergeblicher Versuche, die Schergen dieser Kolonie Würde zur Rechenschaft zu ziehen. "Das ordnet sich wirklich eins zu eins ein", sagt er und verweist auf einen alten Spruch: "Die Colonia gewinnt immer."

In der deutschen Siedlung am Fuß der Anden wurde gemordet, gequält, vergewaltigt und verschleppt. Dort wurden Psychopharmaka gespritzt und Waffen gehortet, darunter Giftgas. Es war auch ein Stützpunkt des Putschisten Pinochet und seiner Folterknechte. Das alles geschah hinter einer Fassade von Fleiß, Folklore und Frömmigkeit. Zwei Staaten standen stramm. Der Sektenführer, Laienprediger und Kinderschänder Paul Schäfer starb 2010 im Gefängnis, ein paar Kumpane verbrachten ein paar Jahre in Zellen. Wer es rechtzeitig zurück nach Deutschland schaffte, der hat wenig zu befürchten.

Deutschland überstellt deutsche Staatsbürger selten ins Ausland, schon gar nicht in Länder jenseits der EU. In der alten Heimat unbehelligt sind auch vier Männer und eine Frau, die in Chile angeklagt oder gar rechtskräftig verurteilt wurden. Zu ihnen gehört wie Döring der einstige Sektenarzt Hartmut Hopp. Seine Auslieferung nach Chile lehnte Deutschland ab, ebenso die Vollstreckung der Strafe in einem deutschen Gefängnis. Die Justiz in Nordrhein-Westfalen stellte sämtliche Verfahren gegen Colonia-Mitglieder ein.

Inzwischen ist die Kommune ein skurriler Freizeitpark

Die frühere Colonia leistet sich stets teure Anwälte, sie besitzt dank Sklavenarbeit, Waffenschmuggel und weiteren Deals offenbar noch eine Menge Geld. Längst heißt die Kommune Villa Baviera, Bayerndorf, und ist ein skurriler Freizeitpark. Kinder der vormaligen Anführer haben das Kommando übernommen.

Reinhard Döring gab in früheren Aussagen sogar zu, dass er chilenische Gefangene bewacht hatte. Nun verlangen Angehörige des damals verschwundenen Oppositionellen Juan Maino, Italien solle ihn in Deutschland verhaften lassen. Deutschland biete Kriminellen der Colonia Dignidad Zuflucht und Schutz, klagen sie. Der Wissenschaftler Jan Stehle findet es "unfassbar, dass das System Colonia Dignidad bis heute wirkt".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5472494
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.