Süddeutsche Zeitung

Colonia Dignidad:Gaucks gescheiterte Versöhnung

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Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Eine Woche liegt der Chile-Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck inzwischen zurück. Ein Ziel der Reise war es, auf die extrem heikle deutsch-chilenische Geschichte der ehemaligen Terrorsekte Colonia Dignidad aufmerksam zu machen. Mit etwas Abstand lässt sich sagen: Das ist gelungen. Allerdings nicht ganz in dem Sinne, wie das von Gauck wohl beabsichtigt war.

Es sollte eine Verbeugung vor den Opfern werden, die seit den 1960er-Jahren, angeführt vom deutschen Kinderschänder Paul Schäfer, eingesperrt, erniedrigt, gefoltert und systematisch sexuell missbraucht worden waren. Bei den Opfern bleibt nun vom Gauck-Besuch aber vor allem Entrüstung zurück.

Verurteilte Schergen von Paul Schäfer unter den Gästen

Wie vergangene Woche bekannt wurde, war beim Empfang des Bundespräsidenten in der deutschen Botschaft von Santiago auch der wegen Mittäterschaft in Fällen von Kindesmissbrauch und Kindesentführung verurteilte Reinhard Zeitner unter den Gästen.

In einer Erklärung des Bundespräsidialamts hieß es dazu: "Wir haben großen Wert auf eine sorgsame Auswahl der Gäste gelegt - vor allem im Hinblick auf die Geschichte der Colonia Dignidad. Wir bedauern mit Blick auf die Opfer sehr, dass diesem Maßstab nicht entsprochen wurde." Das lässt auf mangelnde Sorgfalt schließen, auf einen protokollarischen Fehler seitens der deutschen Botschaft. Opferanwalt Winfried Hempel bezeichnet die Erklärung als "bodenlosen Zynismus".

Tatsächlich haben sich mindestens zwei protokollarische Fehler eingeschlichen, weshalb diese Gästeliste wohl eher der Ausdruck eines strukturellen Problems sein dürfte: der zumindest naiven Kumpanei deutscher Behörden mit den Nachfolgern Schäfers. Auch Hans Schreiber, der Chef der juristischen Abteilung der Colonia Dignidad, war beim Gauck-Empfang in der deutschen Botschaft dabei.

Bei Schreiber überlagern sich Opfer- und Tätergeschichte

Bilder, die der SZ vorliegen, zeigen ihn direkt am Buffet. Schreiber kam, genau wie Zeitner, als Kind in die Kolonie. Er ist der Sohn des ehemaligen Buchhalters von Sektengründer Schäfer und hat auch eine Opfergeschichte. Es macht die Aufarbeitung nicht unkomplizierter, dass sich Täter- und Opferbiografien im Fall der Colonia Dignidad zum Teil überlagern. Das sollte auch der Botschaft bekannt sein.

Heute gehört Schreiber jedenfalls, wie Zeitner, zu den Wortführern der Täterriege, der Relativierer und Vertuscher. Er verteidigt die juristischen Interessen der alten Schergen und ist einer der Leiter des Nachfolgebetriebs der Colonia Dignidad. Auf dem Gelände befindet sich seit Jahren ein Freizeitpark mit deutscher Folklore und Oktoberfest. Er heißt "Villa Baviera" (Bayerisches Dorf) und wird von Nachfahren der einstigen Kinderschänder betrieben. Die meisten der traumatisierten Opfer, die Anwalt Hempel vertritt, leben längst außerhalb der Kolonie.

Gleichwohl pflegt die deutsche Botschaft seit eh und je enge Kontakte zur Villa Baviera. Botschaftsrat Jens Lütkenherm hat sich dort vor wenigen Wochen mit Schreiber und Zeitner zum Mittagessen getroffen, wie eine wackelige Aufnahme belegt. Auch der verurteilte Colonia-Dignidad-Mittäter Wolfgang Hermann Müller saß mit am Tisch - vor den Augen der dort noch lebenden Opfer. Noch so ein Sorgfaltsfehler? Eher nicht.

Das Auswärtige Amt hat die Nachfolgeorganisation Paul Schäfers über Jahre hinweg mit Bundesmitteln gefördert. Rund eine Million Euro sind seit 2008 - unter anderem über Projekte der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) - in den Aufbau der Villa Baviera geflossen. Unabhängig von der Frage, worin das öffentliche Interesse besteht, einen solch makabren Tourismusbetrieb zu unterstützen, heißt das aus Sicht von Anwalt Hempel auch: "Gefördert wird die Fortführung des Unrechtsregimes und nicht die Aufarbeitung."

Das Schweigen der Opfer soll erkauft werden

Hans Schreiber wird von Opferseite als "der Verbindungsmann" der heutigen Colonia zur Botschaft beschrieben. Er ist auch der Autor eines Vertragsangebots, das unlängst den Siedlerinnen und Siedlern vorgelegt wurde, die immer noch auf dem Gelände der Villa Baviera leben. Darin wurden ihnen ein eigenes Stück Land zugesagt - gebunden an die Abtretung der Exklusivrechte auf die künstlerische Verwertung ihrer "Lebensgeschichten in der ehemaligen Colonia Dignidad" an die Führung der heutigen Villa Baviera.

Für Winfried Hempel steht fest, dass mit diesem Vertrag das Schweigen der Opfer erkauft werden sollte - nicht zuletzt um aufwühlende Kinofilme wie den des deutschen Regisseurs Florian Gallenberger künftig unmöglich zu machen. Hempel konnte die Unterschrift seiner Klienten unter den Knebelvertrag im letzten Moment verhindern.

In der Villa Baviera war am Dienstag niemand zu erreichen. Die Botschaft in Santiago verweist an das Auswärtige Amt in Berlin. Dort heißt es auf Anfrage, man habe die Botschaft unverzüglich um Aufklärung gebeten.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2016
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