Süddeutsche Zeitung

Christian Wulff in der Türkei:Der Bundespräsident als Integrator

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Christian Wulff ist ein Präsident, der mit schlechter Rhetorik Gutes sagt. Nun versucht er in Ankara, die irre ausländerpolitische Diskussion ins Flussbett der Vernunft zu leiten.

Heribert Prantl

Die deutsche Politik wäre sehr viel weiter, wenn sie auf ihre Bundespräsidenten gehört hätte. Sie würde dann über Zuwanderung nicht mit sarrazinischem Dialekt sprechen, sie würde nicht die Integration verleumden und nicht die ausländerpolitischen Schlachten von gestern und von vorgestern noch einmal schlagen.

Den Respekt vor den muslimischen Neubürgern, den die Bundespräsidenten Rau, Köhler und Wulff eindringlich angemahnt haben, vermisst man seit Wochen bitterlich. Eine "gewisse anti-koranische Tollwut", die Pater Georges Anawati, der Vorkämpfer christlich-islamischer Aussöhnung, vor 25 Jahren konstatiert hat, ist wieder virulent geworden.

Diese Tollwut empört sich über Feststellungen, die eigentlich Selbstverständlichkeiten sind. "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Das ist ein Satz von Bundespräsident Christian Wulff. "Muslimisches Leben ist Teil des deutschen Alltags." Das ist ein Satz seines Vorgängers Horst Köhler. "Es kann nicht angehen, dass jeder fromme Muslim mit Terroristen in einen Topf geworfen wird."

Das ist ein Satz seines Vorvorgängers Johannes Rau. Seit elf Jahren, seit der Antrittsrede von Johannes Rau, werben die Bundespräsidenten für Integration und eine kulturell vielfältige deutsche Gesellschaft. Christian Wulff ist also gewiss kein Integrations-Revoluzzer und kein christdemokratischer Islam-Prediger. Er steht in einer guten Tradition.

Es ist gleich, ob ein gutes Zusammenleben Multikulti, kulturelle Vielfalt, buntes Deutschland oder Integration heißt: Hauptsache, man tut etwas dafür.

In Ankara, vor dem türkischen Parlament, hat Christian Wulff nun versucht, die wie irr mäandrierende deutsche Diskussion über Ausländer, Zuwanderer und den Islam wieder ins Flussbett der Vernunft zurückzuleiten. Er sparte die Probleme der Integration nicht aus, die durch "multikulturelle Illusionen" (die es kaum noch gibt) unterschätzt würden. Er trat den Fundamentalismen entgegen, und er duldete "keinerlei Extremismus".

Dazu zählt auch der Extremismus der Mitte, für den neuerdings ein Horst Seehofer steht. Das sagte der Bundespräsident freilich nicht. Wulff war auf steife Weise diplomatisch - und doch deutlich.

Seinen Satz vom 3. Oktober, dass der Islam zu Deutschland gehöre, ergänzte er nun um den treffenden Satz, dass das Christentum "zweifelsfrei" zur Türkei gehöre. Und wenn er zu den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei bemerkte, dass sie in einer "fairen und ergebnisoffenen Weise zu führen" seien, war das durchaus als Kritik an der Position von Kanzlerin Merkel zu verstehen, die sich diesen Beitritt nur in kastrierter Form als "privilegierte Partnerschaft" vorstellen kann. Die gibt es schon: Bereits 1963 schloss die Türkei mit der EWG ein Assoziierungsabkommen.

Wulff ist ein Präsident, der mit schlechter Rhetorik Gutes sagt. Ein solcher Präsident ist einem aber sehr viel lieber als einer, der sehr vollmundig so töricht daherreden würde wie Horst Seehofer.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2010
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