Christenverfolgung im Irak:Exodus aus Mossul
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Zum Islam übertreten - oder zahlen, vielleicht sogar sterben: Im Irak machen Dschihadisten Jagd auf Andersgläubige, Hunderte Christen sind vor den IS-Kämpfern auf der Flucht.
Von Tomas Avenarius, Kairo
Die Nachricht dröhnte erbarmungslos aus den Lautsprechern der Moscheen. Wer Christ sei, habe die Wahl. Entweder er trete über zum Islam oder er werde getötet. Der Ankündigung der militanten Fundamentalisten vom "Islamischen Staat" folgte der offenbar von ihnen damit beabsichtigte Exodus: Hunderte Christenfamilien flohen am Wochenende panisch aus Mossul, der zweitgrößten Stadt des Irak.
Viele der Christen verließen ihre Heimatstadt mit nicht viel mehr als mit dem, was sie am Leib trugen: Medienberichten zufolge wurden zahlreiche von ihnen an den Kontrollpunkten der Militanten am Stadtrand auch noch ausgeraubt. Mit der Vertreibung aus Mossul, einer der Hochburgen der chaldäischen, assyrischen und armenischen Kirchen, droht dem Christentum im Irak nun die Auslöschung.
Der Islamische Staat (IS), der die nordwestirakische Millionenstadt Mossul und weite Teile des Westirak vor einigen Wochen in einem Überraschungsschlag erobert hatte, stellte den Christen ein unmissverständliches Ultimatum: Wer bis Samstagmittag nicht zum Islam übergetreten sei oder die Stadt verlassen habe, dem bleibe nur der Tod "durch das Schwert". Verschiedene Medienberichte sprachen aber auch von dem Zwangsangebot an die Christen, eine sogenannte Kopfsteuer zu zahlen - mit dieser Abgabe war den Juden und Christen in früheren islamischen Gesellschaften wie dem Osmanischen Reich die Ausübung ihrer Religion von den Machthabern gestattet worden.
Viele Christen Mossuls misstrauten dem IS-Angebot offenbar: Angeblich waren die Häuser und Geschäfte von Christen bereits mit einem aufgemalten Buchstaben gekennzeichnet worden - der Buchstabe N steht dabei für Naseriten. Christen werden im Arabischen oft auch leicht abwertend als "Nazarener" bezeichnet.
Was genau sich am Wochenende in Mossul abgespielt hat, wird bisher nur in Bruchstücken und aus Berichten der Flüchtlingen klar: Ausländische Journalisten haben keinen Zugang zu den vom Islamischen Staat kontrollierten Gebietens. Auch irakische Medienvertreter können dort nur sehr schwer arbeiten. Hunderte Christenfamilien verließen Medienberichten zufolge die Stadt am Samstag und flüchteten über die nahe gelegene Grenze zum irakischen Kurdengebiet im Norden des Landes. Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtete aus Mossul selbst, die Christen hätten sich meist in Taxis und Privatautos abgesetzt. "Einigen Familien wurden ihr gesamtes Geld und ihr Schmuck an den Kontrollpunkten der Militanten abgenommen, als sie die Stadt verließen", sagte ein Mann namens Abu Dayan der AFP.
Direkt nach der Eroberung und der Vertreibung der irakischen Armee aus der Stadt hatte der Islamische Staat mit der Verfolgung von Schiiten und Feueranbetern begonnen. Auch die ethnisch nichtarabischen Turkmenen wurden bedroht. In den ersten Tagen ihrer Herrschaft zerstörten IS-Kämpfer zahlreiche schiitische Moscheen und Heiligengräber. Schiiten gelten den radikalen Sunniten als Heiden, die Verehrung von Menschen als Heilige lehnen sie ab. Den Christen hingegen sicherten die Radikalen zunächst Unversehrtheit zu: "Am Anfang waren sie freundlich, klopften an unsere Türen, garantierten für unsere Sicherheit. Sie gaben uns sogar Mobilnummern, die wir anrufen sollten, wenn wir behelligt würden", berichtete der Christ Sahir Yahia der Nachrichtenagentur AP. Yahia, der aus Mossul geflohen war, sagte weiter: "Das hat sich dann vor zwei Tagen radikal geändert. Der Islamische Staat hat seine barbarische Natur gezeigt."
Mit dem Exodus aus Mossul und den von IS beherrschten Gebieten mit seiner religiös gemischten Bevölkerung droht dem Christentum im Irak nun wohl das endgültige Aus: Vor dem US-Einmarsch in das arabische Land im Jahr 2003 gab es noch zwischen einer und eineinhalb Millionen Christen im Irak. Die meisten von ihnen gehörten den alten nahöstlichen Kirchen an oder sind Katholiken. Mit der US-Invasion und dem Ende der Saddam-Diktatur sehen sich die Christen aber durch militante sunnitische Fundamentalisten existenziell bedroht. Die Militanten entführten über Jahre hinweg Bischöfe und Priester, verübten Anschläge auf Kirchen, erpressten Schutzgeld. Dies hatte zu ersten großen Fluchtwellen geführt: Mehr als die Hälfte der irakischen Christen sollen bereits außer Landes sein, möglicherweise leben inzwischen sogar nur noch 300 000 im Irak.
Durch die Machtübernahme des Islamischen Staats wird ihre Lage noch dramatischer: Die sunnitischen IS-Islamisten haben ein "Kalifat" in dem von ihnen kontrollierten Teilen des Irak und Syriens ausgerufen. Ihr Führer Abu Bakr al-Bagdadi ernannte sich zum Kalifen und "Führer der Gläubigen". Alleinige Rechtsgrundlage im Kalifat soll die islamische Scharia sein. Häuser von Schiiten und Christen werden angeblich schon beschlagnahmt und an sunnitische Familien gegeben. Maan Abu, ein Christ, hatte sich bei den IS-Vertretern vor seiner Flucht nach der Bedeutung ihres Erlasses und der Möglichkeit der Zahlung einer Kopfsteuer erkundigt: "Ich ging zu einem religiösen Gericht, um nachzufragen, ob die Ankündigung ernst gemeint sei. Man hat mir gesagt, ich solle mein Haus verlassen und meinen Besitz wie mein Geld, mein Auto und meine Habe zurücklassen."
Die Entwicklung im Irak besorgt auch die katholische Kirche: Papst Franziskus sagte in Rom, er bete für die Christen in Irak, "die verfolgt und verjagt werden". Shlemon Warduni, Weihbischof des chaldäisch-katholischen Patriarchats in Bagdad, sagte, die IS-Verwaltung habe die öffentlichen Einrichtungen in Mossul angewiesen, kein Gas und keine Lebensmittel mehr an Christen, Schiiten oder Kurden zu liefern. Der chaldäische Bischofssitz in der Stadt sei von den Militanten besetzt worden, über dem Palast wehe die schwarze Fahne der Islamisten. Während Warduni bestätigte, dass der IS den Christen in Mossul Schutzgeld in Form der Kopfsteuer abpresse, wollte der päpstliche Nuntius in Bagdad dies weder bestätigen noch dementieren.