Süddeutsche Zeitung

Volkskongress:China will Wirtschaft ankurbeln - aber nicht zu stark

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Der scheidende Ministerpräsident Li Keqiang kündigt zudem eine weitere Aufrüstung der Volksarmee an.

Von Florian Müller und Lea Sahay, Peking

Die chinesische Regierung will das Wirtschaftswachstum nach dem Ende ihrer rigorosen Corona-Politik wieder ankurbeln - allerdings nicht zu aggressiv. "In diesem Jahr ist es wichtig, der wirtschaftlichen Stabilität Priorität einzuräumen", sagte der scheidende Ministerpräsident Li Keqiang zum Auftakt des Nationalen Volkskongresses am Sonntag in Peking. Er setzte für 2023 ein Wachstumsziel von "rund fünf Prozent", was am unteren Ende des Erwartungshorizonts der meisten Ökonomen liegt. Gleichzeitig soll das offizielle Haushaltsdefizit nur leicht von 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung auf drei Prozent steigen, was gegen ein größeres, auf Pump finanziertes Konjunkturpaket spricht.

Beim Volkskongress im vergangenen Jahr hatte die Regierung noch ein Wachstumsziel von 5,5 Prozent ausgegeben. Am Ende waren es allerdings nur drei Prozent, der zweitschlechteste Wert seit fast 50 Jahren. Vor allem die strikte Null-Covid-Politik hatte die Wirtschaft ausgebremst, bei der Peking immer wieder Millionenstädte in den Lockdown schickte. Dies hatte die Krise im wichtigen Immobiliensektor verschlimmert und die Binnennachfrage absacken lassen. Anfang Dezember hatte die Staats- und Parteiführung nach landesweiten Protesten eine abrupte Kehrtwende in ihrer Corona-Politik angeordnet und die meisten Beschränkungen aufgehoben. Nach einer massiven Infektionswelle mit mutmaßlich mehr als einer Million Toten setzt nun langsam die wirtschaftliche Erholung ein.

Das Land soll in Schlüsselindustrien unabhängig von ausländischen Technologien werden

Unter dem roten Stern an der Decke der Großen Halle des Volkes, der für die absolute Herrschaft der Kommunistischen Partei über das Land steht, bemühte sich Ministerpräsident Li um eine optimistische Interpretation der Lage. Konfrontiert mit einem "stürmischen internationalen Umfeld" und "harten wie schwierigen inländischen Aufgaben" habe die Partei unter Führung Xi Jinpings sich den Herausforderungen mutig gestellt, die Wirtschaft aufgefangen und die "soziale Stabilität" im Land gesichert. Die knapp 3000 Delegierten spendeten immer wieder disziplinierten Applaus.

In seiner Rede führte Li die von der Parteispitze unter Führung von Xi Jinping vorgegebenen Prioritäten für dieses Jahr weiter aus. Ein wichtiger Punkt auf der Agenda ist neben der Ankurbelung der Binnennachfrage die Unabhängigkeit von ausländischer Technologie in Schlüsselindustrien. Die Regierung habe in den vergangenen fünf Jahren "die Versuche von außen, Chinas Entwicklung zu unterdrücken und einzudämmen", wirksam abgewehrt, sagte Li. Er spielte damit auf den Handelskonflikt und die Sanktionen der US-Regierung gegen wichtige chinesische Technologiekonzerne wie Huawei an. Li rief Staat und Firmen dazu auf, "Qualitätsressourcen zu bündeln und konzertierte Anstrengungen zu unternehmen", um Durchbrüche in wichtigen Technologiebereichen zu erzielen.

Im Angesicht "zunehmender globaler Unwägbarkeiten" widmete der scheidende Regierungschef auch dem chinesischen Militär viel Aufmerksamkeit, das in China formell der Kommunistischen Partei untersteht. Die Regierung solle die Entwicklung der Streitkräfte "stark unterstützen und umfangreiche Aktivitäten zur Förderung der gegenseitigen Unterstützung zwischen dem zivilen Sektor und dem Militär durchführen". Die reinen Militärausgaben sollen laut dem Haushaltsentwurf dieses Jahr um 7,2 Prozent auf umgerechnet 225 Milliarden Dollar steigen. Diese Zahl spiegelt jedoch nur einen Teil der Verteidigungsausgaben wider, die sich auch in anderen Haushaltsposten wie Forschungsausgaben verstecken.

China hat im vergangenen Jahr mit wiederholten Übungen den militärischen Druck auf Taiwan erhöht. Peking erhebt Ansprüche auf die Demokratie vor seiner Küste. Nach der Invasion Russlands in die Ukraine wachsen in vielen westlichen Staaten die Sorgen, dass China ähnlich gegen Taiwan vorgehen könnte. Auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ging der Premier in seinem rund einstündigen Rechenschaftsbericht mit keinem Wort ein. Kritiker werfen Peking vor, den Überfall Russlands nie verurteilt zu haben.

Zum Jahrestag des Angriffs vor einer Woche hatte China ein Positionspapier zum Krieg vorgelegt, darin aber keine neue Initiative zu einer Beilegung des Konflikts erkennen lassen. Gegenüber Taiwan schlug Li nun vergleichsweise gemäßigte Töne an. Er sprach nur von der "friedlichen Wiedervereinigung" mit der demokratischen Republik und verzichtete auf Warnungen vor "ausländischer Einmischung" wie im Vorjahr. Parteichef Xi Jinping hatte in den vergangenen Jahren mehrmals mit einer gewaltsamen "Wiedervereinigung" gedroht.

China will Kohle weiter nutzen, aber "sauber und effizient"

Am Sonntag betonte Li auch die bleibende Bedeutung von Kohle für die Energiesicherheit des Landes. Die Regierung wolle die "saubere und effiziente Nutzung" des klimaschädlichen Energieträgers fördern. Gleichzeitig wolle China aber auch die erneuerbaren Energien weiter ausbauen. Angesichts einer weitreichenden Energieknappheit im vergangenen Sommer hatte der weltgrößte CO₂-Emittent 2022 so viele neue Kohlekraftwerke wie seit sieben Jahren nicht mehr genehmigt.

Die Auftaktrede am Sonntag war Li Keqiangs letzter großer Auftritt nach zwei Amtszeiten als Ministerpräsident. Am Samstag wird aller Wahrscheinlichkeit nach Li Qiang, ein enger Verbündeter von Parteichef Xi Jinping, den Posten übernehmen. Xi selbst soll am Freitag für eine dritte Amtszeit als Staatschef bestätigt werden - dafür hatte er 2018 eigens die Verfassung ändern lassen.

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