Süddeutsche Zeitung

Spitzenkandidat der Südwest-CDU:Surfen auf der Anti-Merkel-Welle

Lesezeit: 4 min

Von Josef Kelnberger, Heilbronn, und Robert Roßmann, Berlin

Guido Wolf spielt gern die Rolle des Mannes, der weiß, was das Volk wirklich denkt. Und so berichtete der baden-württembergische CDU-Spitzenkandidat seinen Parteifreunden beim Programmkonvent in Heilbronn, dass die Stimmung im Lande nichts mehr zu tun habe mit dem, was in den Medien über Flüchtlinge zu hören und zu lesen sei. Die Menschen seien bei der Aufnahme der vielen Asylbewerber am Rande der Überforderung. Es sei angebracht, jenseits der Hilfsbedürftigkeit von Flüchtlingen auch deutlich "die andere Seite der Medaille" zu benennen: Eine Vielzahl von Asylbewerbern wolle lediglich am Wohlstand der Deutschen teilhaben. "Sie sehen in Deutschland eine moderne Variante eines Schlaraffenlandes", sagte Wolf. Stürmischer Jubel im Saal, markige "Jawoll"-Rufe.

Wer in diesen Tagen die CDU verstehen will, muss sich an der Basis umhören. Und dafür gab es am Wochenende kaum einen besseren Ort als Heilbronn. Erstmals in der Geschichte der baden-württembergischen CDU will die Parteiführung im Dialog mit den Mitgliedern ein Wahlprogramm erarbeiten. In Heilbronn ging es, sechs Monate vor der Landtagswahl, beim Thema Asyl aber weniger ums Programm als um ein Ausleben von Stimmungen.

Die Parteiführung ist offenbar alarmiert. Angeblich gab es in den vergangenen Tagen Parteiaustritte in besorgniserregender Zahl. In den Austrittserklärungen seien auch Sätze wie dieser zu lesen: Die ostdeutsche Pfarrerstochter Merkel führe ihre gute, alte CDU auf linke Pfade.

Sorge um den deutschen Wohlstand

Wolf gab sich keine große Mühe, die Kanzlerin zu verteidigen. Zügig brachte er die Stelle hinter sich, in der er die Hilfsaktion Merkels für die in Ungarn feststeckenden Syrer lobte. Die danach eingeführten Grenzkontrollen rühmte er dagegen als wahren Feldzug gegen das Schlepperwesen. Ansonsten berichtete der Spitzenkandidat von seinen Erlebnissen mit den Menschen draußen im Lande. Dem Rentner, der wegen der Flüchtlinge längere Wartezeiten beim Arzt fürchte. Der Mutter, die sich sorge, ihre 14-jährige Tochter könne nicht mehr unbehelligt im Ort spazieren gehen.

Die Wortmeldungen vieler CDU-Mitglieder gingen in die gleiche Richtung, wenn auch noch deutlich schärfer. Kritik am "nationalen Alleingang" Merkels, Lob für Seehofers Rhetorik, Wut auf die angeblich einseitigen Medien und die von ihnen bevorzugten "Gutmenschen". Sorge um den deutschen Wohlstand. Einige Mitglieder forderten auch eine Grundgesetzänderung, um die Zahl der Asylbewerber zu begrenzen.

Bislang galt als Konsens unter den Landtagsfraktionen, das Thema Asyl im Landtagswahlkampf nicht zur Polarisierung zu verwenden. Mit der Rede von Heilbronn hat Wolf diese bisher eingehaltene Grenze überschritten. Auf 40,5 Prozent kam die CDU in der letzten Umfrage. Grüne und SPD erreichten gemeinsam 44 Prozent, die FDP 4,5 Prozent. Das Rennen wird sehr knapp. Nun legt es Wolf offenbar darauf an, den Ärger über die Flüchtlinge der grün-roten Landesregierung ans Bein zu binden, die planlos agiere und zu wenig auf die vielen CDU-regierten Landkreise und Städte höre.

Baden-Württemberg ist zwar nur eines von 16 Bundesländern. Für die CDU ist der Südwesten aber so etwas wie Nordrhein-Westfalen für die SPD. Die Christdemokraten haben in Stuttgart mehr als ein halbes Jahrhundert am Stück regiert. Dass Kretschmann nach Fukushima Ministerpräsident geworden ist, betrachten viele in der CDU als einmaligen Betriebsunfall.

Deshalb gilt die Landtagswahl in Baden-Württemberg als Schlüsseletappe auf dem Weg der gesamten CDU zur Bundestagswahl. Und deshalb befürchten jetzt so viele in der Partei, die Flüchtlingspolitik Merkels könnte der CDU eine erfolgreiche Zukunft vermasseln. Die Kanzlerin ist nicht dafür bekannt, ihrer Partei Wandel zu ersparen. Aber einen so dramatischen Kurswechsel wie in diesen Tagen hat sie der CDU schon lange nicht mehr aufgezwungen.

Viele in der CDU fragen sich, ob es Merkel wie Schröder mit seiner Agenda 2010 gehen könnte: viel Beifall in der öffentlichen Meinung, am Ende aber eine Abfuhr an der Wahlurne. An der CDU-Basis rumort es bereits stärker als zum Höhepunkt der Griechenland-Krise. Abgeordnete sprechen von einem Ritt auf der Rasierklinge, den die Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik wage. So ein Ritt kann leicht schiefgehen.

CSU deckt rechte Flanke der Union ab

Merkel ist allerdings in einer deutlich angenehmeren Lage als Schröder zu Agenda-Zeiten. Die Kanzlerin ist im Zenit ihrer Macht. Und im Bundestag können sie weder die SPD noch Linke oder Grüne wegen einer zu liberalen Flüchtlingspolitik angreifen. Alle drei Parteien haben ja noch deutlich weitergehende Vorstellungen als die Kanzlerin.

Auch von der CSU droht keine Gefahr. Im Gegenteil: Die Christsozialen decken nicht nur die rechte Flanke der Union ab. Sie geben auch den vielen Merkel-Kritikern in der CDU Halt. Selten war die CSU an der CDU-Basis so beliebt wie in diesen Wochen. Außerdem profitiert die Kanzlerin davon, dass CDU-Funktionären im Zweifel der Machterhalt wichtiger ist als jede Debatte. Bei der SPD ist es häufig andersrum.

Keiner sagt: "Wir schaffen das"

Für Merkel geht es deshalb trotz des enormen Unmuts in ihrer Partei noch lange nicht um die Machtfrage. An diesem Montag kommt in Berlin das CDU-Präsidium zusammen. Nach menschlichem Ermessen wird anschließend der Generalsekretär vor die Presse treten und die Zweifel in seiner Partei kleinreden. Getreu dem Motto der Kanzlerin: "Wir schaffen das."

Guido Wolf hat diesen Satz übrigens bewusst nicht in den Mund genommen. Auch sonst fand sich in Heilbronn kein Redner, der "Wir schaffen das" sagen wollte. Der Landtagswahlkampf dürfte in einem rauen Klima über die Bühne gehen.

Am Wochenende ging in Baden-Württemberg wieder ein Gebäude, das als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte, in Flammen auf. In der kleinen Stadt Wertheim, die bereits 900 Asylbewerber aufgenommen hatte, wollte die Landesregierung provisorisch Platz für weitere 400 schaffen. Der CDU-Bürgermeister hatte gewarnt, die Stadt sei inzwischen am Rande der Überforderung. Nun hat offenbar ein Brandstifter Fakten geschaffen.

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SZ vom 21.09.2015
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