Süddeutsche Zeitung

Bundesverfassungsgericht:Karlsruher EZB-Urteil: Handschlag statt Donnerschlag

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Das Bundesverfassungsgericht schließt Frieden mit dem Europäischen Gerichtshof. Nach Belieben schalten und walten kann die EZB aber nicht.

Analyse von Heribert Prantl

Der dreißigjährige kalte Krieg zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof ist zu Ende. Die Verfassungsbeschwerden der deutschen Draghi-Gegner wurden im Ergebnis, wenn auch mit allerlei Vorbehalten und Klarstellungen, abgewiesen. Das große Gericht in Karlsruhe akzeptiert, nach langem Zögern, aber nun mit souveräner Geste, die Interpretationshoheit und die Entscheidungsgewalt des noch größeren Gerichts in Luxemburg.

Das ist mehr als ein Waffenstillstand, das ist ein Friedensschluss - das ist der Friede von Karlsruhe und Luxemburg, das ist ein neuer Friede zum Wohl Europas. Das Gericht in Karlsruhe wollte es nicht riskieren, dass nach einem verfassungsrechtlichen Bannstrahl aus Deutschland womöglich die Basis des Gemeinschaftsgerichts erodiert, es wollte nicht riskieren, dass die Gerichte oder Regierungen andere EU-Staaten sich ermuntert fühlen könnten, Luxemburger Entscheidungen zu missachten.

Anspruch auf Fehlertoleranz

Karlsruhe unterwirft sich nicht, Karlsruhe wiederholt mit anderen Worten in einer ganz entscheidenden Frage, nämlich bei der Euro-Rettung und bei den Kompetenzen der Europäischen Zentralbank, was es schon vor ein paar Jahren bei der berühmten "Honeywell"-Entscheidung gesagt hat: Dass der Gerichtshof in Luxemburg einen Anspruch auf Fehlertoleranz habe, solange damit nicht die deutsche Verfassungsidentität verletzt würde. Und das sei bei Draghis Euro-Rettung nicht der Fall.

Das ist nicht der von den Klägern, das ist nicht der von Peter Gauweiler & Co erhoffte Donnerschlag gegen die behaupteten Verstöße gegen das Grundgesetz und die deutsche Souveränität; das ist ein Handschlag der Karlsruher mit den Luxemburger Richtern; das ist der herzhafte Einstieg in eine sehr wohlwollende Kooperation. Karlsruhe erklärt nicht seinen Rückzug aus den europäischen Dingen, lässt aber dem Luxemburger Gericht auch in den kitzeligsten EU- und Euro-Angelegenheiten das Vorrecht.

Das Wort "dreißigjähriger Krieg" ist symbolisch zu verstehen. Genau genommen sind die Spannungen zwischen Karlsruhe und dem Europäischen Gerichtshof noch älter, nämlich 42 Jahre. Seit dem berühmten Solange-I-Beschluss von 1974 behielt sich das Bundesverfassungsgericht vor, in jedem Einzelfall die Vereinbarkeit von europäischem mit deutschem Recht selbst zu prüfen. Europäisches Recht und dessen Interpretation in Luxemburg wollte das höchste Gericht in Karlsruhe nur akzeptieren, "solange" das dem Karlsruher Gusto entspricht. Dieser Karlsruher Gusto, dieser Karlsruher Geschmack hat seine grundgesetzlich festgelegten Vorlieben. Nun erklärt das Gericht, dass es auch Gerichte akzeptiert, die es für versalzen hält - solange sie noch irgendwie genießbar sind ... weil, nun ja, weil die Geschmäcker in Europa halt verschieden sind.

Es sind Grenzen gesetzt

Nach Belieben schalten und walten kann die Europäische Zentralbank aber auch jetzt nicht. Zwar nimmt sich Karlsruhe zurück. Aber die Luxemburger Richter haben ja (nachdem die Karlsruher Richter die Sache dem Gerichtshof vorgelegt hatten) erklärt, dass die EZB unter ihrer rechtlichen Aufsicht steht. Das höchste EU-Gericht hat zwar Draghi und der EZB währungs- und wirtschaftliche Spielräume eingeräumt, die den Richtern in Karlsruhe eigentlich zu weit gehen. Aber: Der Europäische Gerichtshof hat erklärt, dass das Recht der EZB (wenn auch weite) Grenzen setzt - und dass es die Einhaltung dieser Grenzen kontrollieren wird. Die EU-Richter haben (das ohnehin nicht umgesetzte) Anleihen-Kaufprogramm nur mit Auflagen passieren lassen. Diese Erklärung der EU-Richter zur Oberhoheit des Rechts in Europa hat dem deutschen Verfassungsgericht sein Urteil erleichtert. Das Rechtsversprechen müssen nun die Luxemburger Richter einlösen.

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