Süddeutsche Zeitung

Bundesverfassungsgericht:Die Parteien haben ihren Kompass verloren

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Bei der Suche nach einem neuen Präsidenten in Karlsruhe gibt sich die Politik zu wenig Mühe. Dabei muss das Amt gerade jetzt gestärkt werden.

Von Wolfgang Janisch

Sollte man aus dem unwürdigen Spektakel um die Nominierung des US-Richters Brett Kavanaugh etwas lernen können, dann dies: Die Art und Weise, wie ein Richter ins Amt gebracht wird, kann die ganze Institution diskreditieren. Eigentlich darf man sich in Deutschland glücklich schätzen, dass die Parteien, wenn sie einen Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht auswählen, zu Kompromissen gezwungen sind. Kein Showdown, kein Gerichtshof als Beute. Das Verfahren ist also in Ordnung. Seine Handhabung ist es nicht.

Das lässt sich an der aktuellen Kandidatensuche beobachten. Am 1. Juli erreichte Vizepräsident Ferdinand Kirchhof die Altersgrenze. Sein Nachfolger, das gilt als ausgemacht, soll dann 2020 ins Präsidentenamt aufrücken. Eine echte Toppersonalie also.

Trotzdem lässt die Koalition die Sache schleifen, als gehe es um einen Abteilungsleiter für das Bamf. Der Zeitverzug ist, für sich genommen, nicht schlimm; Kirchhof muss eben noch ein paar Monate nachsitzen. Aber seit einiger Zeit verstärkt sich der Eindruck, dass die Parteien ihren Karlsruher Kompass verloren haben. Sie wissen nicht mehr so recht, welche Persönlichkeiten für den anspruchsvollen Job taugen. Die einstigen "Richtermacher" in den Parteien, die kontinuierlich die Juristenszene beobachteten, sind außer Dienst. Heute macht es mal diese, mal jener.

Noch gravierender ist, dass die politischen Fliehkräfte, die an den Parteien zerren, nun auch die Kandidatensuche beeinträchtigen. Das Vorschlagsrecht für den künftigen Präsidenten liegt bei der CDU - nur bei welcher? Bei den Hardlinern, die eine klare konservative Handschrift auch in Karlsruhe sichtbar machen wollen? Bei der Merkel-CDU, die mit einer liberal-konservativen Kandidatin gut leben könnte? Bei den mächtigen Landesverbänden, die meinen, nun seien sie mal wieder dran? Gewiss, Parteiinteressen gab es immer. Wer nun aber innerhalb der CDU darüber nachdenkt, das parteipolitische Profil mithilfe eines Gerichtspräsidenten zu schärfen, der hat die Rolle des Verfassungsgerichts grundlegend missverstanden.

Dabei ist gar nicht so entscheidend, ob man einen aktiven Politiker wie Günter Krings (CDU) nach Karlsruhe schickt oder nicht. Dagegen spricht zwar, dass man ausgerechnet jetzt, da Länder wie Polen ihre Gerichtshöfe der Politik unterwerfen, mit der Nominierung eines Politikers das falsche Signal senden würde. Historisch gesehen stünde ein Politiker-Präsident freilich in einer ehrenvollen Reihe. Ernst Benda war Abgeordneter und Bundesminister, bevor er Gerichtspräsident wurde, Roman Herzog war Landesminister, Jutta Limbach Justizsenatorin.

Nein, wirklich wichtig ist, dass die Politik zu einer tiefen Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Verfassungsgericht zurückfindet. Karlsruhe taugt weder für Postengeschacher noch für profilneurotische Selbsttherapie. Denn die Indikatoren in Sachen Rechtsstaat sind derzeit alarmierend, unablässig wird gewarnt vor den Gefahren eines institutionenfeindlichen Rechtspopulismus.

In solchen Zeiten muss es ein vorrangiges Ziel geben: die Stärkung des Gerichts. Das gelingt nur mit persönlich integren und intellektuell kraftvollen Persönlichkeiten, seien sie konservativ oder liberal. Denn Richter müssen die Menschen überzeugen können, mehr denn je. Vertrauen ist der Sauerstoff des Verfassungsgerichts. Und es ist ebenso flüchtig.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2018
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