Süddeutsche Zeitung

Bundestagsdebatte über Vorratsdatenspeicherung:"Es ist ein Drama"

Lesezeit: 3 min

Von Paul Munzinger

Da steht er also. Der Mann, der noch im Dezember erklärt hat, dass er die Vorratsdatenspeicherung "ganz entschieden" ablehne. Und der jetzt zwölf Minuten Zeit hat, um dem Bundestag und sich selbst zu erklären, warum das Land dieses Gesetz doch braucht.

Der Justizminister Heiko Maas (SPD) gilt vielen, auch in der eigenen Partei, jetzt als Umfaller, dabei ist er ja eher ein Umgestoßener. Sein Parteichef Sigmar Gabriel will das Gesetz, der Koalitionspartner sowieso, und weil Maas nicht zurücktritt oder aufbegehrt, muss er es jetzt auch wollen.

Maas' Strategie: Er redet das Gesetz klein. Die Speicherfristen seien kurz, zehn Wochen, bei den besonders sensiblen Standortdaten nur vier. Das neue Gesetz, sagt Maas, habe "mit Abstand die niedrigsten Speicherfristen, die es in ganz Europa gibt". Deutlich niedriger auch als die sechs Monate Speicherfrist, die das alte, vom Bundesverfassungsgericht 2010 gekippte Gesetz vorsah.

Maas' Argument: Das neue Gesetz ist nicht das alte

Das ist Maas' wichtigstes Argument: dass das neue Gesetz nicht das alte ist, dass es sich so nah an der Rechtsprechung aus Karlsruhe bewege wie möglich, ja, dass es mit dieser Rechtsprechung praktisch identisch sei. Das Gericht habe "hohe Hürden" errichtet, die alle in den Gesetzentwurf integriert worden seien, sagt Maas. Man habe die Vorgaben des Gericht sogar "übererfüllt", behauptet später der Parlamentarische Staatssekretär Günter Krings. Auch die Einwände des Europäischen Gerichtshofs, der 2014 das EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verworfen hat, habe man berücksichtigt.

Allein, dass nicht mehr von Mindest-, sondern von Höchstspeicherfristen gesprochen würde, sei ein "Paradigmenwechsel". Die Daten würden nach Ablauf der Frist gelöscht. Unternehmen, die dies nicht täten, drohten Strafen in Höhe von 500 000 Euro. Nur wenn ein Staatsanwalt die Daten beantragt, wenn ein Richter sie genehmigt und wenn es sich nicht um Ordnungswidrigkeiten oder Bagatelldelikte handelt, sondern um Mord, Totschlag oder Kinderpornografie, könne der Staat auf die Daten zugreifen. "Ich würde mir wünschen, dass viele andere Daten auch so gesichert wären", sagt Maas.

Sein Fazit: "Ich bin davon überzeugt, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird." Wenn nicht, so muss man Maas wohl verstehen, würde das Gericht sich selbst widersprechen.

Ein "zusätzliches Instrument", aber kein "Allheilmittel"

Der Justizminister konzentriert sich darauf, lückenlos nachzuweisen, warum es keinen vernünftigten Grund gebe, gegen das neue Gesetz zu sein. Was Maas dagegen kaum erklärt: welchen Grund es eigentlich gibt, dafür zu sein.

Das Gesetz stelle einen "validen Kompromiss" dar zwischen Freiheit und Sicherheit, es entspreche "dem Anspruch der Menschen auf effektive Strafverfolgung"; es verschaffe den Sicherheitsbehörden bei schwersten Straftaten "ein zusätzliches Instrument", das aber natürlich "kein Allheilmittel" sei. Das erscheint dünn angesichts der massiven Zweifel - geschürt vor allem durch ein Gutachten des Max-Planck-Instituts von 2011 -, ob die Vorratsdatenspeicherung wirklich hilft, Verbrechen und Terror zu verhindern.

Die Opposition wiederholt diese Zweifel natürlich. Das Gesetz habe "keinen nachweisbaren Nutzen", sagt Jan Korte von den Linken. Doch eine andere Vorlage ist für die Opposition noch viel steiler: die nämlich, die Maas durch seinen Meinungsumschwung selbst gegeben hat.

"Recht hat der Justizminister!"

Genüsslich hält Korte dem Justizminister dessen Zitate aus gar nicht so lang vergangenen Zeiten vor. Zitate, in denen Maas erklärt, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen das Recht auf Privatheit und den Datenschutz verstoße, dass es keine Beweise für ihren Nutzen gebe, dass sie in Frankreich die Pariser Anschläge vom Januar nicht verhindert habe. "Recht hat der Justizminister!", ruft Korte nach jedem Zitat. Der sitzt mittlerweile auf der Regierungsbank, vertieft in sein Smartphone.

"Das war wirklich eine schwere Rede für Sie", sagt Katrin Göring-Eckardt von den Grünen an Maas gerichtet. "So viel habe ich Sie noch nie ablesen sehen hier im Plenum." Das Gesetz werde vorangetrieben von einem, "der es eigentlich besser weiß. Es ist ein Drama."

Neue Verpackung, gleicher Inhalt, kritisiert die Opposition

Das Gesetz werde vor dem Bundesverfassungsgericht nicht standhalten, da ist sich Göring-Eckardt sicher. Die Regierung sei nach dem Motto "Raider heißt jetzt Twix" verfahren: Neue Verpackung, gleicher Inhalt. "Sie werden wieder auf die Nase fallen und das zu Recht."

Die Kritik an dem Gesetz ist nach wie vor groß, nicht nur in der Opposition. Der Deutsche Anwaltverein protestiert, die öffentlich-rechtlichen Sender sind dagegen, die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages melden Zweifel an, die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) sieht erhebliche verfassungsrechtliche Mängel. Und der SPD steht noch eine parteiinterne Debatte ins Haus: Am 20. Juni befasst sich ein Parteikonvent mit der Datensicherung. Der Gegenwind für Maas bleibt stark.

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