Süddeutsche Zeitung

Britisches EU-Referendum:Nein, auf das Ja ist kein Verlass

Lesezeit: 3 min

Von Paul Munzinger

Ob die Briten sich von der Europäischen Union lossagen wollen, ist völlig offen. Was jetzt aber schon klar ist: Sie werden gar nicht danach gefragt. Das Referendum über die EU-Zugehörigkeit des Vereinigten Königreichs wird nächstes Jahr, spätestens aber 2017 stattfinden. Und auf dem Wahlzettel wird nicht stehen: "Wollen Sie aus der EU austreten?" Die Frage wird heißen: "Sollte das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleiben?" Kommt doch auf dasselbe heraus? Das sehen in Großbritannien viele anders.

Premier David Cameron, dem ein EU-Austritt seines Landes nach eigenen Angaben das Herz brechen würde, erhofft sich von dieser Fragestellung einen psychologischen Vorteil. Der britische Telegraph sieht darin einen "bedeutenden Schub" für die Befürworter. Und Nigel Farage, Chef der EU-kritischen UK Independence Party (Ukip), schimpft, Cameron habe "bereits entschieden, welche Antwort die Briten geben sollen".

Ein optimistisches "Yes!" auf T-Shirts und Plakaten

Die EU-Freunde, davon gehen Cameron wie Farage aus, können sich in den nächsten eineinhalb Jahren mit einer positiven Kampagne in den Wahlkampf stürzen. Sie können ein optimistisches "Yes!" auf T-Shirts und Plakate drucken, sie können Zuversicht verbreiten, sie haben das progressive Moment auf ihrer Seite. Den Gegnern bleibt nur die Rolle als Verweigerer, als Bedenkenträger, der mit verschränkten Armen in der Ecke steht und den Schritt zurück als Schritt nach vorn verkaufen muss.

Soweit die Theorie. Aber stimmt das wirklich: Ist es leichter, Bürger für etwas zu mobilisieren als dagegen? Kreuzt der Wähler lieber ein Ja an als ein Nein?

Die Iren haben gerade vorgemacht, wie eine Ja-Kampagne von einem positiven Geist, von einer Aufbruchsstimmung ins Ziel getragen werden kann. 62 Prozent der Wähler entschieden sich in dem stark katholisch geprägten Land für eine gleichberechtigte Homo-Ehe - in der Überzeugung, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, auf der Seite des Fortschritts und der gesellschaftlichen Revolution, die viele Beobachter auch in Deutschland in dem Votum sehen.

Die gleiche Geschichte hätten auch die Befürworter einer schottischen Unabhängigkeit gerne erzählt. Auch sie hofften auf den Rückenwind eines Obama-haften "Yes, we can!", auf die Sogwirkung einer Kampagne, die etwas Neues erschaffen sollte, statt das Alte zu bewahren. Doch die Nein-Sager triumphierten in Schottland. Also doch kein Ja-Effekt? Oder war es überhaupt erst die Macht des Ja, die die zunächst scheinbar chancenlosen schottischen Separatisten von der Unabhängigkeit träumen ließ?

"Ein Nein kann in vielen Fällen viel stärker mobilisieren als ein Ja"

Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Sache eindeutig. Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass die Ja-Sager bei einer Volksabstimmung im Vorteil sind. Studien gibt es zu dieser Frage nicht, nur Indizien und Einzelfälle - und die besagen nicht selten das Gegenteil: 2005 versammelten sich Franzosen und Holländer in Referenden mehrheitlich hinter einem schallenden Nein - und ließen die EU-Verfassung durchfallen. "Ein Nein kann in vielen Fällen viel stärker mobilisieren als ein Ja", sagt Felix Butzlaff vom Göttinger Institut für Demokratieforschung.

Claudine Nierth vom Verein Mehr Demokratie glaubt, dass der Einfluss der Fragestellung auf den Ausgang einer Abstimmung "total überhöht" werde. "Da hält man die Bürgerinnen und Bürger immer für ein bisschen dümmer als sie sind." Auch wenn es zunächst Schwankungen in die eine oder die andere Richtung geben könne - im Verlauf der Debatte setzten sich die besseren Argumente durch. "Am Ende entscheidet nicht die gefühlte, sondern die tatsächliche Mehrheit."

Dass die Briten jetzt eineinhalb Jahre Zeit hätten, sich mit dem Für und Wider einer EU-Mitgliedschaft zu beschäftigen, hält Nierth deshalb nicht für eine Gefahr, sondern im Gegenteil: für eine Chance. Wer gefragt wird, wendet sich nicht ab, sondern informiert sich, diskutiert - und entdeckt am Ende vielleicht doch wieder, warum es sich lohnt zusammenbleiben.

Auch eine vermeintlich klare Ja-Nein-Frage kann zum Verwirrspiel werden

Aus demokratietheoretischer Sicht hat die polarisierende Entweder-Oder-Frage noch einen Vorteil: Sie errichtet keine Hürden. "Je komplizierter ein Mechanismus, umso stärker schreckt er die weniger selbstbewussten Gesellschaftsgruppen ab", sagt Politikwissenschaftler Butzlaff. Die klaren Alternativen, die ein plakatives Ja oder Nein bieten, senkten dagegen die Hemmschwelle, sagt er. "Sie bringen Gesellschaftsgruppen an die Urne, die sonst eher nicht abstimmen würden."

Dass aber auch eine Ja-Nein-Frage eine Abstimmung nicht zwingend unkomplizierter macht, zeigt der Volksentscheid über das Bahnhofs-Projekt Stuttgart 21. Die verworrene Rechtslage führte dazu, dass die Gegner des Bahnhofs in der Abstimmung mit Ja stimmen mussten, die Befürworter mit Nein. Ein absurdes Verwirrspiel. "Es gibt kaum etwas, was die Protestierenden in Stuttgart so frustriert hat", sagt Butzlaff. Und genützt hat es ihnen auch nicht - trotz Ja-Kampagne.

Die Briten scheinen dennoch fest daran zu glauben, dass eine positive Kampagne bessere Aussichten auf Erfolg hat. Die britische Wahlkommission hatte im Vorfeld empfohlen, Ja und Nein aus der Abstimmung fernzuhalten, um größtmögliche Objektivität zu garantieren. Ihr Vorschlag: "Sollte das Vereinigte Königreich ein Mitglied der EU bleiben oder die EU verlassen?" Antwortmöglichkeiten: "Bleiben" und "Verlassen". Cameron sagte Nein - und hofft auf das Ja.

Und noch eine andere Fragestellung hat es nicht auf den Wahlzettel geschafft. Ein EU-kritischer Tory-Abgeordneter hätte das EU-Referendum gerne so formuliert: "Denken Sie, dass das Vereinigte Königreich Mitglied der Europäischen Union sein sollte?" Die britische Wahlkommission lehnte diesen Vorschlag ab. Sie fürchtete, dass Briten, die gar nicht wissen, dass sie bereits EU-Bürger sind, denken könnten, sie sollten nicht über einen Austritt entscheiden - sondern über einen Beitritt.

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