Süddeutsche Zeitung

Brexit:May will es noch einmal wissen

Lesezeit: 4 min

Von Cathrin Kahlweit, London

Eine elektrisierende Nachricht machte am Donnerstag in Westminster die Runde: Mittelsmänner von Theresa May, hieß es, würden sich mit der nordirischen DUP treffen. Das klang erstmal wenig aufregend, schließlich sind die Nordiren und die Tories Kooperationspartner in der Regierung. Aber diese "breaking news" hatte es in sich - auch angesichts dessen, was noch passieren sollte an diesem Tag. Denn am Abend brachte die Regierung ihren Antrag durch, dass der EU-Austritt um einige Wochen verschoben wird; kürzer oder länger - je nachdem, ob Mays Deal im dritten Anlauf durchgeht. Aber das war schon keine Sensation mehr.

Das war zuvor etwas anderes. Am Morgen hatte sich im Parlament das Gerücht verbreitet, der oberste Rechtsberater der Regierung, Geoffrey Cox, arbeite an einem Durchbruch für den Brexit-Deal von Theresa May. Und der sei, ganz, ganz plötzlich, doch in Reichweite. Die zehn DUP-Abgeordneten sichern May im Unterhaus ihre Mehrheit, und sie waren bisher erbitterte Gegner des Backstops gewesen, der laut EU-Austrittsvertrag Nordirland so lange im Binnenmarkt halten soll, bis Brüssel und London einen Freihandelsvertrag geschlossen haben.

Am vergangenen Dienstag hatte die DUP, bei der zweiten Abstimmung im Parlament über das Abkommen mit der EU, mit Nein gestimmt. Unter anderem deshalb, weil Cox, der Chefjurist, die Verbesserungen, die May in Straßburg am Vorabend ausgehandelt und am Dienstag vorgelegt hatte, zwar als das bezeichnete, was sie waren - Verbesserungen eben. Aber nicht als eherne Garantien dafür, dass Großbritannien den Status von Nordirland würde ändern und den Backstop einseitig würde beenden können.

Die nordirische DUP, die bisher gegen jeden Deal war, ist auf einmal nicht mehr so ablehnend

Das Urteil von Cox, so hatten viele Tory-Hardliner und DUP-Parlamentarier zumindest öffentlich argumentiert, habe für sie viel Gewicht. Sein Votum lautete, die Vertragszusätze änderten nichts "Grundsätzliches" an dem Faktum, dass das Ende des Backstops nur eingeläutet werden könne, wenn die EU absichtlich und bösartig einen neuen Vertrag verschleppe. Das reichte der DUP und zahlreichen Tory-Hardlinern nicht; May verlor die zweite Abstimmung fast so hoch wie die erste im Januar.

Cox war am Dienstag auffallend oft dafür gelobt worden, dass er sich nicht als Parteisoldat, sondern als unabhängiger Rechtsgelehrter erwiesen habe. Am Donnerstag hieß es aber plötzlich zur Irritation vieler Brexit-Gegner, er verhandele nun doch noch einmal mit der DUP und versuche, sie mit neuen Argumenten und Ideen zu überzeugen, ihre Haltung zu ändern. Hatte er seine Meinung geändert?

Im Laufe des Tages schien die Gruppe Fortschritte zu machen. Arlene Foster zumindest, die Parteichefin der DUP, zeigte sich vorsichtig optimistisch. Von BBC-Reportern auf dem Weg ins Parlament abgefangen, sagte sie heiter, ihre Partei habe immer einen Deal gewollt, und erst wenn man bei den Verhandlungen ganz ans Ende komme und "das Weiße in den Augen des Gegners" sehe, erweise sich bisweilen, dass es doch noch eine Lösung gebe.

Diese Lösung, die von Mays Gegnern als Trickserei empfunden werden dürfte, wurde dann auch wenig später offen im Unterhaus debattiert, das doch eigentlich zusammengekommen war, um über Für und Wider einer Brexit-Verschiebung zu debattieren. Aber da wussten die Abgeordneten schon, dass Theresa May ihren Deal Anfang der kommenden Woche erneut zur Abstimmung stellen würde.

Was sie dafür braucht, muss Cox liefern. Und offensichtlich scheint er, entgegen seiner bisherigen Expertise, nun doch dazu bereit zu sein - zu dem, was der Brexit-Schattenminister der Labour-Party, Keir Starmer, umgehend als "nukleare Option" bezeichnete: Anscheinend plant die Regierung, die "Wiener Konvention über das Recht der Verträge " von 1969 heranzuziehen. Danach kann man, kurz gesagt, unter bestimmten Bedingungen einen internationalen Vertrag einseitig für ungültig erklären. "Alles, was die britische Regierung demnach tun müsste, wäre, die EU von dieser Entscheidung zu informieren, und zwölf Monate später - kabumm - gäbe es keinen Austrittsvertrag und keinen Backstop mehr", schreibt mit satirischem Unterton die Website Politico und fügt hinzu, genau dies sei aber nach Artikel 56 der Wiener Konvention nicht zulässig.

Der Chef der eminent europakritischen Tory-Gruppe ERG (European Resarch Group), Jacob Rees-Mogg, hatte dieses Vertragswerk in den vergangenen Tagen auch schon einige Male in der Debatte bemüht. Auch die ERG könnte sich, wenn es neue Argumente von der Regierung gibt, eventuell doch noch dafür hergeben, Mays Deal zu unterstützen. Sollte die Wiener Konvention das Vehikel sein? Rees-Mogg schien das anzudeuten. Oder war alles, was da in Westminster kursierte, nur heiße Luft?

Experten aller Parteien werden sich nun in den nächsten Tagen ausführlich über die Konvention beugen, aber im Unterhaus wurde schnell klar: Konservative Abgeordnete "freuen sich darauf, die veränderte Einschätzung" von Cox zu hören, die DUP liebäugelt mit einem Ausweg, und Labour hält den Gedanken, Brüssel mit dem Vertragswerk von 1969 zu kommen, für einen "groben, nie dagewesenen Vertrauensbruch". Was solle die EU denn sagen, fragte Starmer, wenn die britische Regierung schon vor der Ratifizierung des Austrittsvertrages ankündige, diesen zu brechen?

Theresa May ist allenfalls zu einem kurzen, technischen Aufschub bereit

Die Wogen gingen hoch im Unterhaus. Die schottischen Abgeordneten sprachen feurig über den Unsinn von Brexit, die Labour-Abgeordneten über alternative Konzepte, es wurde viel gescherzt, bevor sich die Abgeordneten schließlich wieder dem Grund für ihre Sitzung zuwendeten: der Verschiebung des Brexits. Die Stimmung war teilweise wie auf einem Schulausflug, es machte sich angesichts der unübersichtlichen Lage so etwas wie Galgenhumor breit. Allen war klar: Die Debatte über die Verschiebung war das eine. Mays Überlebenskampf und ihre Agenda das andere.

Die Regierung hatte für den Abend einen eigenen, scharf formulierten Text vorgelegt. Er besagte, dass das Parlament gern über einen kurzen technischen Aufschub befinden könne - maximal bis zum 30. Juni. Zu einer längeren Verschiebung, zu neuen Verhandlungen, zum zweiten Referendum, zu was auch immer sich die Parlamentarier ausdenken könnten, soll es nicht kommen, wenn es nach May geht. Sie will es nächste Woche noch einmal wissen.

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SZ vom 15.03.2019
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