Süddeutsche Zeitung

Post-Brexit-Verhandlungen:Johnsons Witze, Brüssels Wahrheiten

Lesezeit: 3 min

Von Cathrin Kahlweit, London, und Matthias Kolb, Brüssel, London/Brüssel

Für Besucher war die berühmte "Painted Hall" im Old Royal Naval College am Montag bis zum frühen Nachmittag geschlossen. Kein Wunder, schließlich hatten sich dort am Morgen das britische Kabinett, Wirtschaftsbosse aus der City und eine Reihe von Botschaftern versammelt, um sich vom Premierminister eine kurze kunsthistorische Führung geben zu lassen. Johnson erklärte die Deckengemälde der prächtig ausgemalten Halle, die auch den Beinamen "Sixtinische Kapelle Britanniens" trägt, stellte den Maler James Thornhill vor und erläuterte, wie dieser Anfang des 18. Jahrhunderts jahrelang über Kopf an Gemälden gearbeitet hatte, welche die Entstehung des Vereinigten Königreichs als Ausgangspunkt für Stabilität, Wohlstand, Erfindungsreichtum und Vormachtstellung auf den Weltmeeren darstellen sollen. Ach ja, und dann hielt der Premierminister auch noch eine Rede.

Die EU würde nicht zustimmen, wenn sie nicht weiter in britischen Gewässern fangen dürfte

In Wirklichkeit war es natürlich anders herum: Downing Street hatte in das spektakuläre Bauwerk an der Themse gebeten, weil es den passenden Hintergrund bilden sollte für Johnsons Rede über die künftige Rolle Großbritanniens in der Welt. "Unleash Britain's Potential", das Potenzial Britanniens solle freigesetzt werden, war der Titel. Inhaltlich ging es nach dem Exkurs über die Deckengemälde vor allem darum, worin das Königreich jetzt schon besser sei als etwa die EU - und warum man sich von den ehemaligen Partnern jetzt, nach dem Brexit, nichts mehr vorschreiben lassen wolle.

Johnson sprach lange über die Meriten des Freihandels, kurz über die USA, und darüber, dass das Land den "Mut, die Tapferkeit, den Geist und die Freundlichkeit" habe, die es brauche, um eine große Rolle in der Welt zu spielen. Er war gut gelaunt, flocht Rätsel und Witze ein, holte Kommentare seiner in der ersten Reihe sitzenden Minister ein. Nur in Detailfragen zu den Verhandlungen mit der EU über ein Freihandelsabkommen blieb er vage. Auch auf Nachfragen wich er allem aus, was eine Festlegung hätte sein können. Mancher Zuhörer dürfte sich gefragt haben, warum er oder sie die Reise aus dem Zentrum Londons ins maritime Viertel Greenwich auf sich genommen hat. Aber immerhin: Die Painted Hall war sehr eindrucksvoll.

Michel Barnier verzichtete auf Inszenierungen. Den Entwurf für sein neues Mandat präsentierte der Chefunterhändler im Keller des Sitzes der EU-Kommission, wo sich der karg-funktionale Pressesaal befindet. Er gehe mit "Respekt und kühlem Kopf" in die Gespräche, so Barnier, und bot eine "äußerst ehrgeizige Partnerschaft" an. Der Franzose trat wie immer auf wie ein Gentleman - und zugleich fest entschlossen. Das Abkommen, das Ende 2020 fertig werden müsse, könne zwar das "beste seiner Klasse" werden, wäre aber trotzdem schlechter als die EU-Mitgliedschaft.

"Was ich hier vorstelle, wird keinen überraschen", sagte Barnier zu Recht, denn das 26-seitige Dokument, dem noch das Europaparlament und die Mitgliedstaaten zustimmen müssen, erhält bekannte Positionen. Die EU gewährt Großbritannien nur dann Zugang zum Binnenmarkt mit 440 Millionen Konsumenten und verzichtet bei allen Waren auf Zölle und Quoten, wenn die Gegenseite "einen offenen und fairen Wettbewerb" garantiert. Dieses Bekenntnis zu einem "level playing field" müsse jedoch schriftlich fixiert werden, was Johnson nicht tun will. Klare Kante auch bei der Fischerei: Die EU-27 würde keinem Abkommen zustimmen, wenn die Flotten aus Belgien, Frankreich oder Dänemark nicht weiter in britischen Gewässern fangen dürften.

Experten der EU-Kommission sprechen von einem "wirtschaftlich wichtigen Bereich", aber alle wissen: Hier geht es um Strategie und Symbolik. Brüssel wähnt sich als größter Handelspartner Londons am längeren Hebel und je mehr Themen offen sind, desto besser. Für ein Entgegenkommen bei der Fischerei könnte sich Brüssel flexibel bei Finanzdienstleistungen zeigen, die London wichtig ist. Aber da jeder EU-Staat ein Veto hat, sind auch Länderinteressen zu verteidigen.

Die Einheit der EU-27 zu erhalten, wird für Barnier eine ähnlich große Herausforderung werden, wie von Johnson verlässliche Aussagen zu bekommen. Von Ende Februar an wollen sich die Verhandler abwechselnd in Brüssel und London treffen. Das Mandat listet viele Hürden auf: Wie lässt sich garantieren, dass Großbritannien die Standards bei Sicherheit und Umweltschutz einhält, und was passiert, wenn die EU in der Zukunft Auflagen verschärft? Der Schutz der Bürger- und Arbeitnehmerrechte muss ebenso geklärt wie der Frieden in Nordirland bewahrt werden. Es braucht Lösungen zur Schlichtung von Streit und für die Frage, wann der Europäische Gerichtshof das letzte Wort hat. Denn auf den in Greenwich gepriesenen "Geist und die Freundlichkeit" der Briten wird und darf sich Barnier nicht verlassen.

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SZ vom 04.02.2020
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