Süddeutsche Zeitung

Brexit:Erst die Scheidung, dann der Beziehungstest

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Von Alexander Mühlauer, London

Diese Woche war Michel Barnier in Dublin. Der Brexit-Chefunterhändler der EU traf sich mit dem irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar, um sich auf das vorzubereiten, was jetzt kommt: die eigentliche Schlacht mit Großbritannien. Denn so dramatisch und aufreibend die Verhandlungen über das Austrittsabkommen auch waren, so sehr geht es jetzt ans Eingemachte. In den Gesprächen über die künftige Beziehung wird sich zeigen, was der Brexit wirklich bedeutet. Nach der Scheidung, die an diesem Freitag vollzogen wird, stellt sich nun die Frage: Wie soll das künftige Verhältnis aussehen?

Viel Zeit bleibt nicht. Denn Großbritanniens Premier Boris Johnson hat ausgeschlossen, die bis Jahresende laufende Übergangsphase zu verlängern. Bis zum 31. Dezember werden Bürger und Unternehmen vom Brexit nicht viel spüren; das Vereinigte Königreich ist zwar nicht mehr EU-Mitglied, bleibt aber weiter im Binnenmarkt. Dieser Ruhezustand ist es, der vor allem auf EU-Seite Unruhe auslöst. Bei seinem Besuch in Dublin warnte Barnier jedenfalls vor einem No-Deal-Szenario, das am Jahresende droht. Die Zeit, bis dahin ein Freihandelsabkommen mit London zu schließen, sei "sehr, sehr kurz". Varadkar pflichtete Barnier bei.

Johnson ist überzeugt, dass eine Einigung bis Ende des Jahres möglich ist

Davon will der britische Premier indes nichts wissen. Er müsse da den Zweifeln seines irischen Kollegen mit allem Respekt widersprechen, sagte Johnson. Eine Einigung mit der EU könne bis Ende des Jahres erreicht werden. Und nicht nur das. London muss ja nicht nur mit Barnier verhandeln. Als EU-Mitglied profitierte Großbritannien von mehr als 40 Freihandelsverträgen, die Brüssel weltweit abgeschlossen hat. Für London bedeutet das also: zurück auf null. Johnson hat schon klargemacht, dass er die Verträge mit den USA und der EU parallel verhandeln will. Während sich das Wirtschaftsministerium um all die anderen Staaten dieser Welt kümmern soll, wird der Beziehungstest mit Brüssel und Washington aus 10 Downing Street gesteuert, dem Zentrum der Macht.

Klar ist, dass dort ein Abkommen mit der EU die höchste Priorität hat. Dafür sprechen allein schon die ökonomischen Fakten. Gut die Hälfte seines Außenhandels bestreitet Großbritannien mit der EU, umgekehrt sind es lediglich neun Prozent. Als größter Wirtschaftsraum der Welt hat die Europäische Union eine fast schon erdrückend starke Ausgangsposition für die Verhandlungen. Einem gemeinsamen Markt von fast 450 Millionen Bürgern steht nun ein einziger Staat mit einer Bevölkerung von gut 66 Millionen gegenüber.

Nicht nur Großbritannien hat viel zu verlieren

Auch wenn Großbritannien wirtschaftlich mehr zu verlieren hat als die EU, würde ein harter Brexit auch viele Mitgliedstaaten empfindlich treffen. Im Jahr 2018 konnte die EU einen Handelsüberschuss von etwa 110 Milliarden Euro gegenüber Großbritannien verbuchen. Kein Wunder, dass Brüssel deshalb an einem zollfreien Abkommen gelegen ist. Bei Dienstleistungen sieht es hingegen anders aus. Seit 2005 verzeichnet das Vereinigte Königreich jedes Jahr einen Handelsüberschuss zu seinen Gunsten.

Und so werden bei den Verhandlungen die unterschiedlichen Interessen aufeinanderprallen. Das gilt für London und Brüssel, aber auch für die EU selbst. Bislang gelang es den Mitgliedstaaten, ihre Einheit zu wahren. Dabei dürfte es aber nicht bleiben. "Bisher hatte die EU ein gemeinsames Ziel: Der Brexit darf keine Nachahmer finden. In den Handelsgesprächen ist es anders. Da verfolgt jedes Land sein eigenes Ziel", sagt ein EU-Diplomat. So versuchen etwa all jene Staaten, die bislang Zugang zu den britischen Fischgründen haben, eben diesen zu behalten. Für London wird das ein entscheidendes Druckmittel in den Verhandlungen sein. "Die EU will Fisch, wir wollen Finanzdienstleistungen", sagt ein britischer Beamter mit Blick auf den Einfluss der Londoner City in Europa.

Barnier will kommende Woche den Entwurf für ein Verhandlungsmandat der EU vorstellen. Ende Februar sollen die Gespräche mit London beginnen. Zumindest in einem ist man sich auf beiden Seiten einig: Ein Knackpunkt wird das sogenannte Level Playing Field. Der Begriff besagt, dass britische Unternehmen keine unfairen Vorteile gegenüber EU-Konkurrenten haben dürfen, etwa durch niedrigere Umwelt- oder Sozialstandards. Je mehr London davon abweichen will, desto härter wird der Brexit.

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SZ vom 31.01.2020
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