Süddeutsche Zeitung

Brasilien:Bolsonaro spricht die Sprache der Putschisten

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Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Inmitten der Corona-Krise hat Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro an einer anti-demokratischen Demonstration teilgenommen. Mehrere Hundert Menschen hatten sich am Sonntag in der Hauptstadt Brasília versammelt, vor dem Hauptquartier der brasilianischen Armee forderten sie ein Ende jeglicher Isolationsmaßnahmen zur weiteren Eindämmung des Virus und ein Eingreifen des Militärs. Von der Ladefläche eines Pick-up-Wagens wandte sich Brasiliens Präsident an die Teilnehmer. Die Zeit der Gauner sei nun vorbei, erklärte Bolsonaro. "Die alte Politik hat ausgedient. Wir wollen nicht verhandeln, wir wollen Taten!"

Der Auftritt hat in Brasilien einen Aufschrei der Entrüstung ausgelöst. Es sei bedauerlich, dass der Präsident an einer antidemokratischen Veranstaltung teilnehme, sagte der Gouverneur von São Paulo, João Doria. Luís Roberto Barroso vom Obersten Gerichtshof erklärte, er sei bestürzt zu sehen, wie Demonstranten nach 30 Jahren Demokratie eine Rückkehr zum Militärregime fordern.

1964 hatte die Armee in Brasilien die Macht übernommen. In der Folgezeit wurde die Presse zensiert, Oppositionelle verfolgt und systematisch gefoltert, darunter auch Ex-Präsidentin Dilma Rousseff. Mehrere Hundert Menschen fielen dem Regime zum Opfer. Erst 1985 kehrte das Land zur Demokratie zurück, eine breite Aufarbeitung fand nie statt.

Konservative Kreise und weite Teile der Armee nennen die Machtübernahme eine "militärische Revolution" und verklären die Diktatur als Zeit der Ordnung und des Fortschritts. Auch Präsident Jair Bolsonaro hat wiederholt das Regime verteidigt und deren Verbrechen geleugnet. Den wegen Folter verurteilten Oberst Carlos Alberto Brilhante Ustra zählt der rechtsextreme Politiker zu seinen größten Vorbildern.

Bolsonaro hat hochrangige Militärs in seine Regierung geholt. Die Armee gilt neben den Evangelikalen als wichtige Machtbasis des Präsidenten, aus seinem Umfeld gab es immer wieder Forderungen nach einer Intervention der Militärs.

Armeekreise zeigten sich irritiert

Gleichzeitig haben Bolsonaro und seine Anhänger in den letzten Monaten und Wochen auch immer wieder den Kongress und das Oberste Gericht angegriffen. Beide Institutionen hatten zuletzt mehrere radikale Vorstöße des Präsidenten blockieren können.

Auf der Demonstration am Sonntag forderten Teilnehmer einen Rücktritt von Parlamentspräsident Rodrigo Maia. Dieser wiederum verurteilte den Auftritt Bolsonaros. "Wir haben keine Zeit für Putschrhetorik", schrieb Maia auf Twitter in Bezug auf die fortschreitende Ausbreitung des Coronavirus in Brasilien.

Derzeit gibt es knapp 40 000 offiziell registrierte Fälle, mehr als 2000 Menschen sind schon gestorben. Verglichen mit der Bevölkerungszahl von mehr als 200 Millionen ist die Zahl der Infizierten noch vergleichsweise gering. Schon jetzt aber sind Krankenhäuser in vielen Großstädten überfüllt, und Experten befürchten für die nächsten Wochen einen starken Anstieg der Fallzahlen.

Nach mangelnden nationalen Vorgaben haben die meisten Bundesstaaten längst auf eigene Faust das öffentliche Leben eingeschränkt. Brasiliens Präsident hat die Gouverneure für diese Maßnahmen wiederholt als "Arbeitsplatzvernichter" bezeichnet. Er fordert ein Ende aller Isolationsmaßnahmen und eine schnelle Rückkehr zur Normalität.

Diese Politik hat zum offenen Streit zwischen dem moderaten und dem radikalen Flügel der Regierung geführt. Letzte Woche entließ Bolsonaro Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta. Dieser hatte sich immer wieder für Isolationsmaßnahmen eingesetzt und zuletzt sogar öffentlich die Politik der Regierung in einem TV-Interview kritisiert. Dies kostete ihn die Unterstützung der Militärs, die zuvor noch seine Entlassung verhindert hatten.

Obere Armeekreise zeigten sich am Sonntag dennoch irritiert über die Ansprache des Präsidenten vor dem Hauptquartiert des Militärs. Dieses würde Brasilien dienen, nicht einer Regierung, zitierte die Internet-Zeitung Estadão aus São Paulo einen General.

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SZ vom 21.04.2020
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