Süddeutsche Zeitung

Bosnien-Herzegowina:Gesetz gegen Gesetz

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Der Hohe Repräsentant, Christian Schmidt, stellt Verstöße gegen seine Dekrete unter Strafe - eine Reaktion auf Sezessionsbestrebungen der bosnischen Serben.

Von Tobias Zick

Es war eine offene Provokation, mal wieder. Der Mann, der seit Jahren immer wieder mit dem Feuer der Spaltung des fragilen Staatsgebildes Bosnien-Herzegowina spielt, trieb vergangene Woche die Eskalationsspirale eine kräftige Drehung voran: Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, ließ das Parlament seiner serbisch dominierten Entität ein Gesetz verabschieden, das an einer tragenden Säule des Gesamtstaats sägt. Demnach sollen Urteile des Verfassungsgerichts in Sarajevo auf dem Territorium der Republika Srpska keine Gültigkeit mehr haben. Und Beamte, die gegen dieses Gesetz verstoßen, werden mit Strafen bedroht.

Als wäre dies nicht Provokation genug, trieb Dodik gleich noch ein zweites Gesetz durchs Parlament: Demnach sollen Dekrete, die der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina erlässt, nicht mehr im Gesetzesblatt der Republika Srpska erscheinen. Eine Entscheidung also, die direkt auf die Autorität von Christian Schmidt zielt, der das Amt des Hohen Repräsentanten seit August 2021 bekleidet. Der bezeichnete die Beschlüsse als "klaren Verstoß gegen die Verfassung von Bosnien-Herzegowina" - und machte von seinen sogenannten Bonner Vollmachten Gebrauch, die es dem Hohen Repräsentanten ermöglichen, in die Gesetzgebung des Landes einzugreifen, wenn die Umsetzung des Daytoner Friedensabkommens von 1995 gefährdet ist.

Widersetzen Beamte sich Schmidts Entscheidungen, droht ihnen Haft

Dass Dodiks Vorstoß exakt und bewusst darauf abzielt, die Dayton-Ordnung zu torpedieren, dürfte nicht einmal er selbst bestreiten. Schmidt erließ daraufhin am Samstag ein Dekret, das das neue Gesetz zur Missachtung des Verfassungsgerichts mit sofortiger Wirkung für null und nichtig erklärt. Zudem verfügte er Änderungen im Strafgesetzbuch Bosnien-Herzegowinas, wonach Handlungen, die die verfassungsmäßige Ordnung des Landes untergraben, als Straftaten geahndet werden können. Konkret können Beamte, die sich den Entscheidungen des Hohen Repräsentanten widersetzen, mit bis zu fünf Jahren Haft belangt werden.

Letzteres setzt nicht nur Beamte in der Republika Srpska unter Druck, die durch die neue Gesetzgebung ihrer Entität genötigt werden, sich gegen die Verfassung des Gesamtstaats zu stellen - es zielt auch auf deren Urheber, Milorad Dodik. Sollte er die vom Parlament verabschiedeten Gesetze unterzeichnen, würde er sich gemäß dem Dekret des Hohen Repräsentanten selbst strafbar machen. Dann würde ihm, sobald er das Territorium der Republika Srpska verlässt und die Grenze zur anderen Entität Bosnien-Herzegowinas überschreitet, der bosniakisch-kroatischen Föderation, selbst die Verhaftung drohen.

Die US-Botschaft in Sarajevo stellte sich ausdrücklich hinter Schmidts Entscheidungen und verurteilte Dodiks Gesetzesvorstöße als "verfassungswidrige und gezielte Angriffe" auf die Dayton-Ordnung. Bereits im Januar 2022 hatte die US-Regierung Sanktionen gegen Dodik verhängt, mit der Begründung, er untergrabe die Institutionen des Gesamtstaates Bosnien-Herzegowina, indem der in der Republika Srpska Parallelstrukturen aufbaue. Zudem habe er seine Position genutzt, um "durch Bestechung, Schmiergelder und andere Formen der Korruption persönlichen Reichtum anzuhäufen". Dodik bestreitet regelmäßig die Korruptionsvorwürfe und sonnt sich in seiner Nähe zum Kreml.

An diesem Sonntag gab er sich demonstrativ unbeeindruckt von Schmidts Dekreten. Er werde die vergangene Woche vom Parlament verabschiedeten Gesetze unterschreiben, "sobald sie in meinem Büro ankommen". Zudem drohte er weitere Gesetze an, die etwa die Befugnisse der gesamtstaatlichen Polizei auf dem Territorium der Republika Srpska außer Kraft setzen könnten. Auch könnte man bis Jahresende ein Referendum über den künftigen Status der Entität abhalten. Schließlich erklärte Dodik, er glaube an die "Einheit" der Republika Srpska und des benachbarten Serbien.

Dessen Präsident Aleksandar Vučić allerdings gab sich zunächst vergleichsweise reserviert. Er sei "sehr besorgt" angesichts der Entwicklungen in der Republika Srpska, sagte er in einer ersten Reaktion, dort braue sich eine "riesige und schwere Krise" zusammen.

Führende Politiker Sarajevos begrüßten unterdessen Schmidts Dekrete. Nermin Niksić, Premierminister der bosniakisch-kroatischen Föderation, bezeichnete sie als "völlig gerechtfertigt".

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