Berlin:"Wir dürfen die Gier der Milliardäre nicht länger akzeptieren"
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Bei seiner Rede an der FU Berlin wird Bernie Sanders gefeiert wie ein Popstar. Der Senator kritisiert Präsident Trump scharf und warnt Europa: Nicht nur die USA werden immer ungerechter, sondern die ganze Welt.
Von Matthias Kolb, Berlin
Bernie Sanders hat eine klare Botschaft an das deutsche Publikum. "In den USA gibt es Millionen wundervolle Menschen, die sich täglich einsetzen für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Präsident Trump steht nicht für die Werte, an die die Mehrheit der Amerikaner glaubt", ruft der Beinahe-Präsidentschaftskandidat der Demokraten in das Audimax der Freien Universität in Berlin hinein.
Und die 1200 Zuhörer danken es mit lautem Applaus. Wenige Meter entfernt hielt John F. Kennedy 1963 eine wichtige Rede - die Erwartungen sind also hoch. Und wer heute hier sitzt, der will an ein gutes, progressives Amerika glauben - und lehnt Donald Trump aus Überzeugung ab.
Wie so oft in diesen Tagen dreht sich fast alles um den 45. US-Präsidenten
Sollte Trump das Pariser Klimaabkommen aufkündigen, dann wäre dies ein "schrecklicher Fehler", ruft Sanders. Aber auch hier betont der 75-Jährige: "Die Mehrheit der Amerikaner denkt nicht wie Trump, dass die Erderwärmung eine Erfindung sei." Für Sanders ist das alles eine "moralische Frage": Man müsse den Kindern und Enkeln die Welt in einem lebensfähigen Zustand überlassen und es brauche nicht weniger, sondern mehr internationale Kooperation.
Obwohl der Senator aus Vermont mit 35 Minuten Verspätung ankommt, wird er wie ein Popstar mit Jubelrufen begrüßt. Auch wenn das Gekreische nicht ganz so ohrenbetäubend ist wie bei "Bernie"-Events in den USA: Hunderte machen Fotos mit ihren Smartphones. Und sie hören 90 Minuten aufmerksam zu, wie Sanders Trumps Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut als "nicht akzeptabel" bezeichnet. Er selbst halte die Kanzlerin zwar "nicht für die fortschrittlichste Person", doch verglichen mit anderen Regierungschefs mache sie einen "ziemlich guten" Job.
Buhrufe für Trumps geplante Änderung an der US-Krankenversicherung
Eigentlich ist Bernie Sanders nach Berlin gekommen, um sein Buch "Unsere Revolution", das am Freitag im Ullstein Verlag erscheint (464 Seiten, 24 Euro), vorzustellen. In den USA ist es seit November auf dem Markt - der " demokratische Sozialist" hatte es ursprünglich geschrieben, um einer Präsidentin Hillary Clinton klarzumachen, dass die neue Regierung das progressive Programm des Demokraten-Parteitags umsetzen müsse.
Sanders wollte verhindern, dass Clinton zu freundlich mit den Wall-Street-Banken umgeht und zu sehr in die politische Mitte rückt - und füllte das Buch mit vielen Daten und Grafiken. Es kam bekanntlich anders: Anstelle der Demokratin Clinton, die Wahlkämpfer Sanders im Herbst unermüdlich unterstützt hatte, sitzt nun Donald Trump im Weißen Haus.
Statt progressive Vorschläge für die Demokratie vorzulegen, versucht Sanders in seinem Vortrag in Berlin jene Frage zu beantworten, die so viele beschäftigen: "What the hell is going on in the US?" Warum er - wenig überraschend - kein Trump-Fan ist, erläutert er eingangs anhand der Gesundheitsreform. Der US-Präsident wolle 23 Millionen Bürgern ihre Krankenversicherung wegnehmen und sein Budget-Entwurf sei eine große Umverteilung von Reichtum - weg von den Armen und Arbeitern, hin zu den Reichen. "Buhhhh!", ruft es aus dem Saal und Sanders kommentiert: "Ganz richtig!"
Wie im Wahlkampf fasst sich Sanders nicht kurz, sondern geht ins Detail. Er nennt Zahlen ("43 Millionen Amerikaner leben in Armut"), und gliedert seine Argumente in durchnummerierte Aspekte. Der rechte Zeigefinger fuchtelt wie gewohnt herum, er gestikuliert und wird laut vor Erregung. Was stört Sanders noch an Trump? Als zweiten Punkt nennt er dessen abfällige Kommentare über Richter und die permanenten Angriffe auf die Medien. "Trump verbreitet immer wieder unverhohlene Lügen und sagt Dinge, die nicht auf Tatsachen beruhen", ruft Sanders und kommt zu Punkt drei. Der Republikaner spalte die US-Gesellschaft und spiele Menschen verschiedener Religionen und Hautfarben gegeneinander aus.
Sanders seziert den traurigen Zustand der USA, jenes so reichen Landes, in dem es so viel Ungerechtigkeit gibt - und das mehr seiner Bürger ins Gefängnis steckt als China es tut. Der Senator aus Vermont erklärt den Sieg Trumps auch mit dem Versagen der Demokraten - also jener Partei, für die er ins Weiße Haus einziehen wollte. In ländlichen Gebieten gebe es sehr viel Hoffnungslosigkeit und sehr wenige Jobs. "Diese Leute haben gefragt: 'Hört denn niemand auf mich und versteht meinen Schmerz?' Die traurige Wahrheit ist: Wir in Washington haben nicht zugehört", sagt Sanders bitter. Er spricht seit Jahrzehnten darüber, dass die Mittelschicht schrumpfe und vom neu entstehenden Wohlstand vor allem das oberste Prozent der Bevölkerung profitiert, doch erst jetzt hören ihm Millionen Menschen zu.
Viele US-Amerikaner seien neidisch auf die Zustände in Deutschland, so Sanders. Jenseits des Atlantiks gebe es bei vielen Jobs "genau null Urlaubstage" und kein Anrecht auf Krankentage oder Mutterschutz. Dann fragt er das Publikum, wie viel ein Studium an der FU kostet. "Nichts", ruft einer, ein anderer ruft: "300 Euro." Sanders berichtet von den Zehntausenden Dollar Schulden, die junge Amerikaner aufnehmen müssen und sagt: "Wir sollten von Europa lernen und das Studium an öffentlichen Unis kostenlos machen."
"Zieht euch nicht ins Private zurück!"
In Sanders' Augen sind die USA bereits eine "Oligarchie", in der "einige wenige Milliardäre die Wirtschaft und unser politisches System" kontrollieren. Doch dieses Phänomen sei nicht auf die USA beschränkt, so Sanders, und zitiert eine umstrittene Oxfam-Studie: Die acht reichsten Leute besitzen so viel Vermögen wie die ärmste Hälfte der Welt ( Details hier). Und dann kommen einige jener Sätze, die Bernie Sanders zum Vorbild für so viele machen: Es sei eine Schande, dass trotz modernster Technologien weiter Kinder sterben, weil ihnen der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Ärzten fehlt. Auch aus Deutschland müsse eine Botschaft ausgesendet werden: "Wir dürfen die Gier der Milliardäre nicht länger akzeptieren."
Im holzgetäfelten Audimax sitzen auch einige Rentner, doch das Publikum besteht vor allem aus Studenten. Sanders richtet sich vor allem an sie, wenn er ruft: "Ignoriert nicht, was in der Welt passiert. Zieht euch nicht ins Private zurück, ich flehe euch an." Es sei möglich, den Klimawandel zu stoppen und es lohne sich, daran zu glauben, "den Horror der Kriege" stoppen zu können. Doch dazu müssten sich möglichst viele Bürger einbringen. In Amerika sage man "Democracy is no spectator sport", sagt Sanders: Man könne nicht nur zuschauen und meckern.
Die anschließende Fragerunde moderiert Christoph Amend vom ZEIT Magazin. Ja, er schreibe seine Reden fast immer selbst, betont der 75-Jährige - und er habe ein Team, das für ihn Tweets verfasse. Es folgen typische Anekdoten, die schon bei Sanders' Buchtour durch die USA ( hier eine Reportage) oft thematisiert wurden. Äußerlichkeiten sind Sanders egal, weshalb es ihm egal ist, vom Washingtonian-Magazin einst zum "schlechtest gekleideten Senator" gekürt worden zu sein. Diese "Auszeichnung" zeige, was im US-Journalismus falsch laufe.
Hat Sanders noch Lust aufs Weiße Haus?
Mit Medienkritik reagiert er auch auf die erwartbarste aller Fragen: Wird Bernie Sanders 2020 nochmals fürs Weiße Haus antreten? Nichts sei schlimmer am US-Politsystem als die Tatsache, dass Wahlkämpfe nie enden würden. Die Journalisten sollten über wichtige Themen berichten und nicht über angebliche Kandidaturen und deren Aussichten. "Ich habe mich noch nicht entschieden, denn momentan kämpfe ich Tag und Nacht dafür, die Umsetzung von Trumps Agenda zu stoppen.
Wieso er als siebenfacher Großvater ausgerechnet zum Helden von jungen Leuten in aller Welt geworden ist, wisse er selbst nicht, sagt Sanders. Er denke in "großen Linien" und habe ambitionierte Ziele, vielleicht helfe das. Es folgt eine Liebeserklärung: "Ganz ehrlich: Als der Wahlkampf begann, kannte ich nicht mal den Begriff der Millennials. Aber das ist eine tolle Generation, ohne Vorurteile und so tolerant. Das gilt nicht für die USA."
Was wünschen sich deutsche Millennials?
Für Tabea Wilch, die an der Freien Universität studiert, war dies nicht die erste Begegnung mit Sanders. Sie besuchte im Februar 2016 einen Wahlkampf-Event in Nevada und ist seither begeistert von dessen Ideen und Authentizität. Ihr gefällt vor allem, dass Sanders keine Großspenden annimmt ("da war Obama ja schlimmer als Clinton"), um seine Unabhängigkeit zu wahren. "Bernie versucht, die USA ein bisschen hinterherzuziehen. Wir in Europa sind ja in vielem weiter", sagt die 22-Jährige, die stolz ein "Bernie 2016"-Shirt trägt.
Deutschland benötigt nicht so dringend wie die USA einen Politiker, der sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzt, sagt Wilch. Aber sie wünscht sich jemanden wie Bernie Sanders, der die jungen Leute so mitreißt und Social Media so gut nutzt, um seine Botschaften direkt zu kommunizieren.
"Ich nehme viel Politikverdrossenheit um mich herum wahr", sagt sie. Und was ist mit dem Hype um Martin Schulz, den diverse Medien recht vorschnell als " Deutschlands Bernie Sanders" bezeichnet haben? Wilch gefällt nicht, wie Schulz als Europaparlamentspräsident mit Geld umgegangen ist und sie findet den SPD-Kanzlerkandidaten wenig inspirierend. Ihr Fazit: "Ich denke, es wäre ein bisschen ungerecht, Bernie gegenüber, ihn mit Martin Schulz zu vergleichen."