Süddeutsche Zeitung

Außenministertreffen in Antalya:Warum die Türkei eine größere Rolle in der Nato spielen will

Lesezeit: 3 min

Von Daniel Brössler, Antalya

Kurz nachdem der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu seine Begrüßungsworte beendet hat und sich wieder in den Wahlkampf verabschiedet, spricht er eine Einladung aus. Die im Konferenzsaal versammelten Herrschaften mögen doch recht bald wiederkommen - als Urlauber. Die Türkei hat die Nato-Außenminister, die normalerweise im tristen Hauptquartier in Brüssel tagen, in ein Luxusressort nahe Antalya geladen und verbindet damit einen Werbegedanken, der über das Touristische weit hinausgeht.

In den zurückliegenden Krisenjahren war Entfremdung spürbar geworden zwischen dem muslimischen Nato-Staat und den anderen Verbündeten. Für Irritationen sorgte die türkische Zurückhaltung, wenn es darum ging, Kurden den Weg für den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zu öffnen, aber auch die Herzlichkeit von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan im Umgang mit Kremlchef Wladimir Putin. In Antalya macht die Türkei klar, dass sie selbst sich immer noch im Zentrum der Allianz sieht.

Türkei liegt in Nachbarschaft zu den Krisenregionen der Ukraine und Syriens

Zumindest durch ihre Nähe zu beiden großen Krisenregionen in der Nato-Nachbarschaft, der Ukraine einerseits und Irak sowie Syrien andererseits, ist sie es tatsächlich. Die Türkei sei, sagt der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, der einzige Nato-Staat mit einer direkten Grenze zur Terrormiliz Islamischer Staat. Als "passend" bezeichnet es auch daher Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, "dass wir uns in der Türkei treffen".

Passend - das ist das Stichwort. In einer binnen kürzester Zeit völlig veränderten Weltlage sieht sich die Allianz mit regional höchst unterschiedlichen Erwartungen ihrer Mitglieder konfrontiert. Sie reagiert darauf mit einem One-size-fits-all-Ansatz - eine Allianz also passend für jede Bedrohung. Formelhaft wiederholt Generalsekretär Stoltenberg in Antalya, die Nato sei sowohl für "Herausforderungen aus dem Osten wie aus dem Süden" gewappnet. "Es geht darum, dass wir die Nato stark erhalten, in die kollektive Verteidigung investieren und die Einsatzbereitschaft unserer Kräfte erhöhen", sagt er.

Beschlüsse dazu stehen in Antalya aber nicht auf der Agenda. Vorläufig gilt es, den Aktionsplan abzuarbeiten, den die Staats- und Regierungschefs unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim beim Nato-Gipfel in Wales 2014 eilig beschlossen hatten. Was das betrifft, so sieht das Bündnis Anlass genug, sich selbst zu loben.

Türkei will sich an Eingreiftruppe beteiligen

Die "Speerspitze", eine superschnelle Eingreiftruppe mit etwa 5000 Soldaten, existiert, wenn auch bislang nur übergangsweise. Deutschland und die Niederlande haben dabei die Führung übernommen. In ersten Übungen wird die schnelle Verlegung, zum Teil innerhalb von 48 Stunden, bereits trainiert.

Ganz im Sinne des One-size-fits-all-Ansatzes werden Nato-Offizielle in Antalya nicht müde zu betonen, die superschnelle Truppe sei keineswegs nur für Bedrohungen aus dem Osten gedacht, sondern könne überall eingesetzt werden. Die Logistik spricht eine etwas andere Sprache. Für den reibungslosen Einsatz der Speerspitze richtet die Nato sechs kleine Hauptquartiere her, vom Baltikum bis zum Balkan allesamt im Osten.

Beim Treffen in Antalya hat die Türkei allerdings bekannt gegeben, dass sie sich als eine von dann sieben "Rahmennationen" an der Speerspitze beteiligt. Es ist die sichtbarste Maßnahme, mit der die Türkei wieder ins Zentrum der Allianz rücken will.

Baltische Staaten wollen Nato-Brigade

Wie schwierig der Ost-Süd-Spagat dennoch bleibt, machen die baltischen Staaten in Antalya klar. Bekannt wird, dass die Generalstabschefs der Streitkräfte von Estland, Lettland und Litauen ein gemeinsames Schreiben an den Nato-Kommandeur für Europa, General Philip Breedlove, richten wollen. Sie werden darin um die dauerhafte Stationierung einer Brigade im Baltikum bitten.

Nach Ansicht zumindest eines Teils der Nato-Staaten würde das gegen die Nato-Russland-Grundakte verstoßen, die trotz der Aussetzung der praktischen Zusammenarbeit mit Russland immer noch gilt. Stoltenbergs Reaktion ist entsprechend reserviert: Er könne nicht auf einen Brief reagieren, den er nicht kenne.

Bis zum nächsten Gipfeltreffen im Juni 2016 in Warschau will das Bündnis sich nun vor allem besser einstellen auf Methoden hybrider Kriegsführung, wie Russland sie in der Ukraine praktiziert hat. Dabei mischen sich verdeckte Militäroperationen mit Desinformationskampagnen und politischem Druck. Darüber, wie dem begegnet werden kann, wollen Nato und Europäische Union sich künftig stärker austauschen.

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SZ vom 15.05.2015
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