Süddeutsche Zeitung

Atomwaffen:Neubeginn mit Schwierigkeiten

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Von den wichtigen Rüstungskontrollabkommen ist nur noch New Start übrig. Russland bewegt sich bei den Verhandlungen zur Verlängerung zwar auf die USA zu, doch in zentralen Fragen sind sich beide Staaten uneins.

Von Matthias Kolb und Paul-Anton Krüger, Brüssel/München

Nimmt man die Stellungnahme des US-Außenministeriums zum Maßstab, wäre die Verlängerung des letzten Abkommens zur Begrenzung strategischer Atomwaffen mit Russland nur ein Treffen von Diplomaten beider Seiten entfernt. Die USA begrüßten die Bereitschaft Moskaus "Fortschritte bei der nuklearen Rüstungskontrolle zu machen", teilte Sprecherin Morgan Ortagus Dienstagabend mit. Washington sei zu einem sofortigen Treffen bereit, um ein "verifizierbares Abkommen abzuschließen" und erwarte, dass Russland seine Diplomaten ebenfalls dazu ermächtige.

Die Regierung von US-Präsident Donald Trump reagierte damit auf ein Angebot aus Moskau. Hatte Präsident Wladimir Putin am Freitag noch von einer Verlängerung des New-Start-Vertrages um ein Jahr "ohne Vorbedingungen" gesprochen, offerierte das Außenministerium nun eine beiderseitige "politische Verpflichtung", die weitere Produktion aller Atomsprengköpfe für ein Jahr einzufrieren - und ging damit auf eine zentrale US-Forderung ein. Doch ob ein Deal vor der US-Wahl am 3. November möglich ist, wie Trump es gerne hätte, ist offen.

Die Details sind knifflig und politisch brisant

Denn Moskau schob zugleich nach, dass dieses Angebot strikt und ausschließlich dann umgesetzt werden könne, "wenn damit keine weiteren Anforderungen der USA verbunden sind". Aus Sicht der USA muss diese politische Verpflichtung aber auch überprüfbar sein - und da beginnen die Probleme. Die technischen Fragen sind äußerst komplex und die politischen Auswirkungen brisant.

Der New-Start-Vertrag umfasst nur strategische Atomwaffen, die auf landgestützten und auf U-Booten stationierten Interkontinentalraketen montiert sind, sowie Langstreckenbomber; jede Seite darf 1550 Gefechtsköpfe und 700 Trägersysteme einsatzbereit halten. Nun müssten nach den US-Vorstellungen beide Seiten ein komplettes Inventar aller Sprengköpfe ihres Arsenals liefern und sich verpflichten, diese Zahl nicht zu überschreiten.

Russland müsste genau Auskunft über sein Arsenal geben

Russland müsste demnach auch die Anzahl seiner taktischen Atomwaffen offenlegen, die keinen Beschränkungen unterliegen. Das US-Verteidigungsministerium schätzt, dass Russland etwa 2000 solcher Sprengköpfe gefechtsbereit hält, Tausende weitere sollen als Reserve eingelagert sein, die im Krisenfall mobilisiert werden können. Die genauen Zahlen kennen aber wohl nicht einmal die westlichen Geheimdienste.

Moskau betrachtet diese Bomben, die etwa mit landgestützten Mittelstreckenraketen, Marschflugkörpern oder Kampfjets ins Ziel gebracht werden können, als Mittel, die wahrgenommene konventionelle Überlegenheit der Nato in Europa auszugleichen und einen möglichen Krieg zu für Russland günstigen Bedingungen zu beenden.

Was als Sprengkopf zählt, ist nicht eindeutig

Unklar ist schon die scheinbar triviale Frage, was eigentlich als ein Sprengkopf zählt: nur ein komplettes System, das mindestens aus einem Plutonium-Kern und einem Zündmechanismus besteht? Oder könnten beide Seiten weiter Komponenten produzieren, solange diese nicht zu einsatzbereiten Bomben montiert werden? Und wie ließe sich das in den hoch geheimen Produktionsstätten durch Inspektoren oder technische Mittel überwachen?

Angelehnt an frühere Verträge könnten etwa die Sprengköpfe gezählt werden, die von den Waffenlaboren ausgeliefert und dorthin zurückgebracht werden. Damit wäre eine Modernisierung der Arsenale, die sowohl Russland als auch die USA betreiben, weiter möglich. Unklar ist, ob Russland bereit ist, solchen Verifikationsregeln zuzustimmen. Putin hatte es als Vorteil bezeichnet, dass inzwischen keine US-Inspektoren mehr in den entsprechenden Anlagen in Russland zugegen sind.

Die Europäer hoffen auf eine Einigung

In der Nato und bei den europäischen Alliierten begrüßt man die Bemühungen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte vor dem virtuellen Treffen der Verteidigungsminister, die Allianz habe sich stets für nukleare Abrüstung eingesetzt und seit 1990 die Zahl der Atomwaffen in Europa um mehr als 90 Prozent reduziert. "Die Verbündeten befürworten eine Verlängerung des New-Start-Abkommens zwischen Russland und den USA", sagte er. Denn es wäre nicht gut, sich "in einer Situation wiederzufinden, in der kein Vertrag die Zahl von Atomwaffen regelt." Wenn der Vertrag nicht bis zum 5. Februar verlängert wird, unterliegen die Arsenale der beiden einstigen Supermächte erstmals seit 1972 keinerlei Limits mehr.

Die USA wollen, dass die Verbündeten Druck auf China machen

Stoltenberg dankte den USA dafür, die Alliierten regelmäßig zu informieren - erst am Dienstag hatte Trumps Unterhändler Marshall Billingslea mit den Botschaftern der 29 anderen Nato-Partnerstaaten gesprochen - und da auch eine Botschaft mit Blick auf China platziert.

Der Nato-Generalsekretär rief Peking dazu auf, sich an den Abrüstungsgesprächen zu beteiligen. Die USA haben zwar von ihrer Forderung Abstand genommen, China müsse in jede Verlängerung von New Start einbezogen werden. Doch lässt Billingslea keine Gelegenheit aus, von den Verbündeten zu verlangen, in dieser Frage Druck auf Peking zu machen.

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