Süddeutsche Zeitung

Atommächte USA und Nordkorea:Trump gibt sich Kim Jong-un als Mitspieler hin

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Einen größeren Gefallen hätte er dem Diktator aus Nordkorea nicht tun können. Der Konflikt ist nun entgrenzt und womöglich nur noch schwer wieder einzuhegen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Am Sonntag hat Japan zum 72. Mal des Tages gedacht, an dem eine Atombombe die Stadt Hiroshima zerstörte und 80 000 Menschen sofort in den Tod schickte. Wer den Schauder dieses Moments nicht mehr spürt, der kann die beklemmenden Schilderungen über die Opfer und Nachgeborenen nachlesen, über eine verglühende Stadt und den Ascheregen der Toten.

Am Jahrestag dieser Tragödie analysierten Experten die Bilder und Daten eines nordkoreanischen Raketenstarts vom Juli, und die Erkenntnisse waren ebenfalls beklemmend. Nordkorea verfügt über eine Interkontinentalrakete, die trotz Schwierigkeiten beim Eintritt in die Erdatmosphäre und möglicher Probleme mit der Traglast das Potenzial hat, einen nuklearen Sprengkopf in die USA zu tragen. Ob Nordkorea solch einen Sprengkopf bauen kann, ist umstritten, aber nicht unwahrscheinlich. All diese Informationen ändern die strategische Balance in der östlichen Hemisphäre und sind Anlass zu größter Sorge.

Ehrlicherweise müsste man sagen: Nordkorea war immer schon ein unberechenbarer und gefährlicher Akteur. Die eigentliche Bedrohung geht ja nicht erst von der letzten Rakete aus. Eine krude Nuklearwaffe hätte auch an Bord eines Frachtschiffs nach San Francisco transportiert und dort detoniert werden können. Angeblich verfügt das Land bereits über ein paar Dutzend dieser Bomben.

Die Flugbahn der Rakete löst aber einen ganz anderen Mechanismus aus, der die bisherige Logik im Umgang mit Nordkorea durchbricht. Diese Erkenntnis ist dem amerikanischen Präsidenten zu verdanken, der am Dienstagabend in drakonischen Worten Nordkorea Feuer und Zorn versprach - ein geradezu apokalyptische Formulierung, die sich an der Rhetorik des nordkoreanischen Machthabers und des Atombombenpräsidenten Harry Truman anlehnt.

Um keine Zweifel zuzulassen: Ausgelöst und immer weiter getrieben haben die Eskalation Nordkorea und dessen Machthaber Kim Jong-un, der anders als sein Vater oder Großvater bisher nicht zu erkennen gegeben hat, welches Ziel er mit seinen Provokationen verfolgt. Donald Trump aber hat diese Duell-Herausforderung angenommen, mit seinen Worten geradezu kindisch gespiegelt und damit die größte Dummheit seiner kurzen Präsidentschaft begangen. Aus einem mühsam kontrollierten technischen Schlagabtausch ist eine politische, gar eine persönliche Konfrontation geworden. Einen größeren Gefallen hätte Trump dem Diktator Kim nicht tun können. Der Konflikt ist nun entgrenzt und womöglich nur noch schwer wieder einzuhegen.

Dickschädeligkeit und aufbrausende Rachsucht

Die Folgen sind unmittelbar zu spüren, vor allem in jenen Ländern, die zur Reaktion verdammt sind: Südkorea und Japan. Dort wird in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit dem Urinstinkt nach Sicherheit und Abschreckung nachgegeben. Wer eine nukleare Bedrohung als realistische Gefahr erkennt, der wird sich schützen wollen, und sei es, dass er mit einem Gegenschlag zur Abschreckung droht.

Aufrüstung, Raketenabwehrprogramme, eine Radikalisierung der Hirnwindungen und mithin der Gesellschaften. Nein, es ist nicht realistisch, dass ausgerechnet Japan eine eigene Nuklearabschreckung anstrebt. Auch Südkorea hat noch lang keine taktischen US-Nuklearwaffen stationiert - eine Waffe, die man längst für untauglich erklärt hat. Aber wer die sensiblen Gewichte der Atomwaffenwelt verrückt, der kann die Rutscheffekte nicht mehr kontrollieren.

Außer Kontrolle gerät das nordkoreanische Problem also durch Trumps politische Eskalation. Will er seine Glaubwürdigkeit bewahren, muss er handeln. Kriegsszenarien sind längst geschrieben, Dickschädeligkeit und aufbrausende Rachsucht entwickeln Kräfte wie ein Raketentreibstoff. Denkbar ist der Kontrollverlust. Wer diese Spirale stoppen kann? Das US-Militär selbst müsste es eigentlich wissen, es hat über Jahre die Eindämmung Nordkoreas betrieben, ohne sich zu sehr zu exponieren. Die japanische Regierung müsste die Gelegenheit ergreifen und ungeachtet aller historischer Lasten eine Allianz der Vernunft mit China und Südkorea bilden. Und vor allem die Chinesen selbst müssen nun aktiv werden, ehe sie diesmal mit ihrer Liebe zur strategischen Geduld einen kolossalen Fehler begehen.

Kim Jong-un will Abschottung und Akzeptanz. Die Bedingungen für sein krudes Spiel sollte er aber nicht selbst diktieren. Und schon gar nicht sollte ein amerikanischer Präsident die Spielregeln unterschreiben. In Ostasien herrscht deshalb gerade kein Sommergewitter; hier erlebt die Welt eine der gefährlichsten Nuklearkrisen seit der Kuba-Blockade von 1962.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2017
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