Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:"Sie haben den schweren Schritt getan"

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Der Bundespräsident findet bei der Entlassung von Anne Spiegel aus dem Amt der Bundesfamilienministerin konziliante Worte - spricht aber auch ihre Fehler an.

Von Angelika Slavik, Berlin

Das ist kein leichter Tag für Anne Spiegel, sie hatte es sich anders erhofft, alles. Als sie im Dezember schon einmal hier war, beim Bundespräsidenten in Schloss Bellevue, zu ihrer Vereidigung, da sah es aus, als könnte die grüne Bundesfamilienministerin ein Star der neuen Ampel-Koalition werden. Es ist anders gekommen.

Deshalb ist Anne Spiegel nun wieder hier, keine fünf Monate später, um vom Bundespräsidenten formal entlassen zu werden. Sie trägt einen dunklen Hosenanzug, die Miene versteinert. Aus dem Umfeld ist zu hören, dass sie dieses Prozedere gerne hinter verschlossenen Türen hinter sich gebracht hätte, ohne Zuseher, ohne Kameras, aber so läuft das eben nicht: Zu einem Ministerinnenamt gehört die Öffentlichkeit und zum Bundespräsidenten das Protokoll. Ausnahmen nicht vorgesehen.

Zu den Usancen gehört auch, dass der Bundespräsident bei der Entlassung eines Regierungsmitglieds ihre oder seine Verdienste würdigt. Das ist bei Anne Spiegel nicht so einfach, denn von der kurzen Amtszeit Spiegels wird wohl vor allem das Ende in Erinnerung bleiben: Die Ministerin geriet unter Druck, als immer neue Details über ihr Verhalten rund um die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal bekannt wurden, unrichtige Angaben verschlimmerten die Lage. Dann versuchte Spiegel, ihr Amt zu retten, machte intime Details ihres Familienlebens öffentlich. Am Ende drängte sie die eigene Partei zum Rücktritt. Seither gibt es auch ein Ringen um die Deutungshoheit über Anne Spiegels Geschichte: Da sind jene, die nun über Vereinbarkeit von Beruf und Familie sprechen wollen, weil sie finden, in der Causa Spiegel gehe es vor allem um Überlastung. Und es gibt die anderen, die finden, diese Ministerin sei schlicht an moralischen Mindestanforderungen gescheitert.

Frank-Walter Steinmeier muss nun also Worte finden für all das. Und natürlich weiß er, dass die Autorität des Amts diesen Worten das Gewicht eines Urteilspruchs verleihen kann. Was soll Deutschland über Anne Spiegel denken?

"Sie hatten sich viel vorgenommen", sagt Steinmeier zur gescheiterten Ministerin

Steinmeier sagt, er erinnere sich, wie Anne Spiegel bei ihrem Amtsantritt für ihre Themen gebrannt habe. Dass sie vorgehabt habe, Ungerechtigkeit abzubauen, Frauen besser vor Gewalt zu schützen, das Familienrecht zu modernisieren. "Sie hatten sich viel vorgenommen für Ihr neues Ministeramt, und Sie waren sich Ihrer großen Verantwortung bewusst." Bei der Erklärung am Tag vor ihrem Rücktritt habe Spiegel vielen Menschen verdeutlicht, wie schwer es sei, ein politisches Amt und die Verantwortung für die Familie zu vereinbaren, sagt Steinmeier.

Das ist konziliant im Ton, aber die Deutung, dass es hier nur um ein Vereinbarkeitsproblem ginge, übernimmt der Bundespräsident nicht. Denn er sagt auch: "Sie haben Fehler eingestanden, die Sie als Umweltministerin von Rheinland-Pfalz nach der Flutkatastrophe im Ahrtal gemacht haben. Und Sie haben den schweren Schritt getan, die Konsequenzen gezogen und sind als Bundesministerin zurückgetreten." Dafür gebühre ihr Respekt. Dann muss Spiegel vortreten und ihre Entlassungsurkunde übernehmen. Ein paar Schritte sind das nur. Man sieht, dass sie schwer fallen.

Steinmeier wendet sich an Spiegels Nachfolgerin Lisa Paus. Die habe "immer für eine gerechtere Gesellschaft gestritten", sagt er, genieße den guten Ruf einer versierten Finanz- und Wirtschaftspolitikerin. Er wünsche ihr eine glückliche Hand. Ein Abschlussfoto, eine kurze Berührung zwischen Vorgängerin und Nachfolgerin, dann haben sie es geschafft. Lisa Paus, die nun anfängt. Und Anne Spiegel, die jetzt erst einmal keine Kameras mehr aushalten muss.

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