Süddeutsche Zeitung

Ende der Ära Angela Merkel:Heldinnenverehrung

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Annette Schavan hat ein Buch über Angela Merkel herausgegeben. 29 Autoren kommen darin zu Wort. Herausgekommen ist eine Hommage, kein Gesamtbild. Das ist schade.

Von Peter Fahrenholz, München

Man kennt das von runden Geburtstagen bekannter Persönlichkeiten. Gerne werden dann Weggefährten, Vertraute und zuweilen auch Antipoden gebeten, irgendetwas über den Jubilar oder die Jubilarin aufzuschreiben. Und es liegt in der Natur des Anlasses, dass in der Regel eine Lobeshymne dabei herauskommt. Wirklich gelesen werden solche Festschriften nur selten, außer vom Geburtstagskind selber und den Autorinnen und Autoren, die sehen wollen, was denn die anderen so geschrieben haben.

Dem Buch von Annette Schavan "Die hohe Kunst der Politik" könnte das gleiche Schicksal drohen. Schavan gehört zum Kreis der Merkel-Vertrauten und wäre sicherlich bis heute an ihrer Seite geblieben, wenn sie nicht 2013 nach Plagiatsvorwürfen gegen ihre Dissertation als Bildungs- und Forschungsministerin hätte zurücktreten müssen. Merkel hat diesen Rücktritt damals nur "sehr schweren Herzens" angenommen.

Ausgewogene Bilanz? Fehlanzeige

Wenn also eine Merkel-Freundin ein Buch über die Ära Merkel herausgibt, das auch noch den Titel "Die hohe Kunst der Politik" trägt, weiß man von vornherein, dass hier keine ausgewogene Bilanz einer 16-jährigen Kanzlerschaft vorgelegt wird, in der es um Licht und Schatten geht. Trotzdem könnte ein solches Buch einer Nahesteherin im besten Fall unbekannte Seiten einer Politikerin zutage fördern, die ihr Leben jenseits des Amtes immer sehr gut abgeschirmt hat. Leider erfüllt sich diese Hoffnung nur in sehr geringem Maß.

Dabei hat Schavan einen beträchtlichen Aufwand getrieben. Einschließlich ihres eigenen Beitrages kommen 29 Autorinnen und Autoren zu Wort. Und als dreißigste Stimme ist es Schavan, die nach ihrem erzwungenen Rücktritt vier Jahre lang Botschafterin beim Vatikan war, sogar gelungen, ein kurzes Grußwort von Papst Franziskus zu organisieren. Der bescheinigt Merkel, dass sie "für Leadership im besten Sinn" stehe und ihre Politik "gut für Deutschland und die globale Welt" sei.

Präsidenten und Schauspieler schreiben

Die Spannbreite der Frauen und Männer, die Schavan für einen Beitrag gewinnen konnte, ist durchaus beachtlich. Sie reicht von Emanuel Macron bis zu Philipp Lahm, dem ehemaligen Fußballer, von Christine Lagarde bis zum Schauspieler Ulrich Matthes. Aber die Spannbreite der Beiträge selbst bleibt dahinter zurück. Denn es geht vor allem um das Licht in Merkels Karriere, um die Vorzüge ihres politischen Stils, um Merkels Rolle auf der internationalen Bühne. Dass Merkel hier über viele Jahre eine herausragende politische Figur gewesen ist, ein Stabilitätsanker innerhalb der EU, werden höchstens jene Geiferer bestreiten, die sie seit den Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik mit Hasstiraden überschütten.

Dass Merkel die "ultimative Pragmatikerin" (Christine Lagarde) ist, eine "originelle Kombination aus Pragmatismus, Sanftmut und Beharrlichkeit" (Donald Tusk), ihre Intelligenz "überragend" ist (Thomas de Maiziére) und sie deshalb "in die Geschichte der Bundesrepublik als bedeutende Kanzlerin eingehen" wird (Sigmar Gabriel), wird in vielen Beiträgen herausgearbeitet.

Hinter dem internationalen Glanz, den das Buch mit einer gewissen Redundanz ausbreitet, bleiben die Mühen der nationalen Ebene weitgehend unbeleuchtet. Dabei wäre es durchaus interessant gewesen, zu lesen, was Merkels moderierender Regierungsstil mit dem innenpolitischen Reformstau des Landes zu tun hat und welche Auswirkungen er auf ihre eigene Partei gehabt hat.

Dieses Manko hängt auch mit der Auswahl der Autoren zusammen. Zwölf ihrer 16 Kanzlerinnenjahre hat Angela Merkel zusammen mit der SPD in einer großen Koalition regiert. Doch mit Sigmar Gabriel kommt nur einer davon zu Wort. Und dem ist eine gewisse Ehrfurcht vor Merkel nicht abzusprechen, immerhin hat er als SPD-Chef zweimal davor gekniffen, gegen sie anzutreten. Von den innerparteilichen Kritikern Merkels, die es ja auch gegeben hat, ist kein Einziger mit einem Rückblick auf die Ära Merkel vertreten. Dabei wäre schon interessant gewesen, wie ein Roland Koch oder ein Friedrich Merz ihre Merkel-Abneigung in wohlabgewogene Worte hätten kleiden müssen. Erstaunlicherweise sind mit Winfried Kretschmann und Annalena Baerbock zwei Grüne mit dabei, aber niemand aus der FDP, mit der Merkel ja auch vier Jahre regiert hat.

Zwei Grüne üben sanfte Kritik - immerhin

Und so ist es Kretschmann, in dessen Beitrag als erstes Kritik an Merkel durchschimmert, auf Seite 94 des Buches. Er hält Merkel ihr langes Schweigen auf die europapolitischen Vorschläge Macrons und "zu wenig entschlossenes Handeln" beim Klimaschutz vor. Auch Baerbock beschreibt in aller Vorsicht den "gesellschaftlichen Preis" von Merkels vorsichtigem Regierungsstil. Sie habe das Land "nicht durch progressive Debatten und Reformen modernisiert".

Über den Menschen Merkel jenseits der Politik erfährt man nur wenig. Eine Ausnahme macht die Schilderung des Schauspielers Ulrich Matthes, der Merkel vor der Bundestagswahl 2005 in einer privaten Runde kennengelernt und sie danach immer wieder getroffen hat. 2017 hat er dann erstmals CDU gewählt - wegen Merkel. "Ich dachte, ich bin ihr das jetzt schuldig: aus Respekt für ihre Entscheidung, Geflüchtete aufzunehmen und für insgesamt zwölf gute Jahre bis dahin mit ihr."

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