Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Eine Wahl als Farce

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Die Wahl in Afghanistan hat sich endgültig zu einem Fiasko entwickelt: Der Rückzug des Herausforderers von Präsident Karsai ist der dritte Akt eines Trauerspiels, das die schlimmen Befürchtungen der Wähler noch übertroffen hat.

Tobias Matern

Eine Wahl, ohne die Wahl zu haben - das war der Eindruck vieler Afghanen, wenn es um die Frage ging, welcher Präsident ihr Land in den nächsten fünf Jahren führen soll. Selbst bei denjenigen, die sich im August nach Taliban-Drohungen unter Lebensgefahr zur Wahlurne aufmachten, hieß es: "Bei der Auszählung der Stimmen wird es zu Betrügereien kommen. Und der Westen hat bei unserer Entscheidung seine Finger im Spiel."

Diese schlimmen Befürchtungen der wenigen Wähler sind nicht nur eingetreten. Sie sind inzwischen übertroffen worden.

Undurchsichtiges Machtpoker

Herausforderer Abdullah Abdullah wird die Stichwahl am Samstag boykottieren. Die Menschen können sich noch für exakt einen Bewerber entscheiden: Amtsinhaber Hamid Karsai. Die Wahl in Afghanistan hat sich von einer schwierig abzuhaltenden Abstimmung zu einem Fiasko entwickelt. Die Öffentlichkeit erlebt nun den dritten Akt eines Trauerspiels. Akt eins hatte die Wahlmanipulationen, vor allem zugunsten Karsais, an den Tag gebracht. Hunderttausende Stimmen erklärte eine UN-Kommission für ungültig. Dennoch wollte der Präsident zunächst keinen zweiten Wahlgang.

Im Video: Der Pressesprecher des Amtsinhabers Karsai bedauert die Entscheidung Abdullahs, nicht zur Stichwahl am kommenden Samstag anzutreten. Bundesaußenminister Guido Westerwelle mahnt unterdessen zu Besonnenheit. Weitere Videos finden Sie hier

Akt zwei beschäftigte sich mit dem undurchsichtigen Nachwahl-Machtpoker. Offenbar sollte Abdullah einen hohen Posten bekommen, wenn er auf eine Stichwahl verzichtet und sich an einer Einheitsregierung mit Karsai beteiligt. Der frühere Außenminister aber weigerte sich.

Das Ende von Akt zwei verärgerte die Afghanen mindestens genauso massiv wie Akt eins. Wie ein kleiner Schuljunge, der sich vor der Klasse entschuldigt, dass er geschummelt hat, musste ihr Präsident nach massivem westlichen Druck vor die Kameras treten. Eine Stichwahl sei erforderlich, sagte Karsai auf einmal - flankiert von US-Senator John Kerry und dem UN-Sondergesandten Kai Eide. Viele Menschen am Hindukusch haben dieses Bild so verstanden: Das ist kein afghanischer Präsident, sondern ein vom Westen gewollter Präsident für Afghanistan. Das Vertrauen in die internationale Gemeinschaft ist durch diesen Eindruck nicht gerade gewachsen.

Und nun noch Akt drei: der Rückzug des Herausforderers. Abdullah ist überzeugt, dass auch bei der zweiten Wahlrunde betrogen werden sollte, weil Karsai Vertraute, die seiner Meinung nach an den Manipulationen beteiligt waren, im Amt beließ. Ein Aspekt macht das gesamte Trauerspiel besonders unerklärlich: Karsai hätte es gar nicht nötig gehabt, die Ergebnisse des ersten Wahlgangs zu fälschen, weil er ohnehin eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat.

Realistische Chancen auf den Sieg hatte Abdullah nie. Karsai ist Paschtune, die meisten Afghanen gehören diesem Volksstamm an und stimmen streng nach Ethnie ab - auch wenn nun kaum noch jemand überhaupt abstimmen wird.

Acht Jahre nach dem Sturz der Taliban haben die Menschen nun eine Wahl, ohne die Wahl zu haben. Für ein Land, das dringend ein Erfolgserlebnis bräuchte, ist diese eine bittere Erkenntnis.

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Quelle:
SZ vom 02.11.2009
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