Süddeutsche Zeitung

AfD:Eine Partei unter Verdacht

Lesezeit: 3 min

V-Leute, Telefonüberwachung und noch mehr:  Was die Entscheidung des Verfassungsschutzes jetzt praktisch bedeutet.

Von Ronen Steinke

Die Heraufstufung der gesamten AfD zu einem sogenannten Verdachtsfall des Verfassungsschutzes hat handfeste Folgen. Mit der neuen Bewertung gehen neue Befugnisse für das Bundesamt für Verfassungsschutz einher. Die Agenten des Inlandsnachrichtendienstes dürfen nun die gesamte Partei mit ihren Spionage-Werkzeugen ins Visier nehmen, den sogenannten "nachrichtendienstlichen Mitteln". Was bedeutet das konkret für die AfD und ihre Mitglieder? Ein Überblick.

Abhören

Der Verfassungsschutz darf künftig die Kommunikation von wichtigen Akteuren der AfD, also etwa des Parteivorstands, heimlich mithören und mitlesen. Ein richterlicher Beschluss ist dafür nicht nötig. Die einzige externe Instanz, von der die Verfassungsschützer noch eine Erlaubnis brauchen, ist ein kleines, höchst verschwiegenes Gremium. Diese sogenannte G-10-Kommission - benannt nach dem Artikel 10 des Grundgesetzes, der eigentlich die Vertraulichkeit der Kommunikation schützt - tagt nur einmal alle paar Wochen in einem abhörsicheren Raum des Bundestages. Es ist bemerkenswert, wie dies in Deutschland organisiert ist: Dieses Gremium besteht aus nur vier Mitgliedern. Die vier Mitglieder - sie arbeiten ehrenamtlich - werden von den politischen Parteien aufgestellt. Die derzeitigen vier Amtsinhaber sind von CDU, Grünen, FDP und SPD nominiert. Den Vorsitz führt der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schmidt.

Eine Regel lautet: Parlamentarier sind besonders geschützt. Abgeordnete, so hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Linken-Politiker Bodo Ramelow 2013 erklärt, dürfen nur abgehört werden, wenn ihr Wirken "auf die Anwendung von Gewalt gerichtet" ist. Ohnehin: Im Stadium des "Verdachtsfalls" muss besonders strikt auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel geachtet werden. Dazu hat das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Wochenzeitung Junge Freiheit 2005 die Nachrichtendienstler ermahnt. Aber wie genau das nun zu interpretieren ist, entscheidet im Einzelfall die G-10-Kommission.

V-Leute

Der Deal lautet: Verrat gegen Geld. Dieses Geschäft darf der Verfassungsschutz künftig AfD-Leuten antragen, so wie er es bisher schon den Angehörigen von Neonazi-Kameradschaften oder auch den Mitgliedern von Islamistenzirkeln anbietet, um sie als diskrete Informanten anzuwerben. Der Verfassungsschutz spricht in solchen Fällen von Vertrauens-, kurz V-Leuten. Schon heute, so kann man erfahren, arbeiten einzelne Verfassungsschutzämter mit Vertretern der als besonders radikal geltenden Parteiströmung diskret zusammen. Rechtlich möglich ist das, seitdem der "Flügel" vor zwei Jahren zum sogenannten Verdachtsfall und im vergangenen Frühjahr zur "erwiesen extremistischen Bestrebung" erklärt wurde. Nach der aktuellen Entscheidung, die gesamte Partei als "Verdachtsfall" zu bewerten, könnten nun wesentlich mehr Parteileute das Angebot bekommen, V-Mann zu werden.

Weil die AfD aber als legale Partei am demokratischen Prozess teilnimmt, unterliegt der Einsatz von V-Leuten gewissen Einschränkungen. Erstens: Parlamente müssen eine spitzelfreie Zone bleiben. Abgeordnete der Landtage, des Bundestags und des Europaparlaments sowie deren Mitarbeiter dürfen nicht als V-Leute angeworben werden, so steht es seit einigen Jahren ausdrücklich im Bundesverfassungsschutzgesetz. Zweitens: Auch Personen, die keine Parlamentarier sind, aber "steuernden Einfluss" auf die Partei haben, dürfen nicht als V-Leute angeworben oder geführt werden. Das betrifft graue Eminenzen, Ehrenvorsitzende, Parteideologen oder -propagandisten.

Hintergrund ist eine schlechte Erfahrung, die der Staat einst mit der NPD gemacht hat. Das Bundesverfassungsgericht lehnte es 2003 ab, die Partei zu verbieten. Die Begründung in dem damals ersten NPD-Verbotsverfahren lautete: Einige Funktionäre mit "steuerndem Einfluss" seien insgeheim V-Leute gewesen; es fehle der NPD daher womöglich an der "Staatsferne". Die Radikalisierung der NPD habe sich der Staat womöglich auch selbst zuzuschreiben.

Anprangern

AfD-Obere wie Alice Weidel, Alexander Gauland oder Jörg Meuthen werden nun in die Geheimdienst-Datenbank Nadis ("Nachrichtendienstliches Informationssystem") eingetragen werden, zwischen Islamisten und Neonazi-Kadern. Aber sie werden nicht erfahren, welche Informationen dort eingetragen werden. Auch nicht, ob und wie sie tatsächlich überwacht werden. Der Verfassungsschutz informiert niemanden. Auch die schon erwähnte G-10-Kommission informiert niemanden. Diese Unsicherheit kann zermürbend wirken. Das ist ein Effekt, den die Beobachtung durch den Verfassungsschutz hat. Genauso verhält es sich mit der Möglichkeit des Einsatzes von V-Leuten. Die bloße Angst vor der Unterwanderung durch Verräter "kann eine Szene verunsichern", so räumt man beim Bundesamt für Verfassungsschutz ein. Dies sei zwar nicht ein Ziel, das man verfolge. Aber es sei ein Nebeneffekt.

Zudem wird die AfD von nun an vor allem öffentlich angeprangert werden. Das ist die zweite große Folge der aktuellen Entscheidung des Verfassungsschutzes. Wer als "Verdachtsfall" auf Extremismus gilt, der taucht ganz offiziell im jährlichen Verfassungsschutzbericht auf. Das gilt nun für die gesamte Partei mit ihren mehr als 32 000 Mitgliedern.

Das bedeutet auch: Die offizielle Zahl für das "rechtsextremistische Personenpotenzial" in Deutschland wird sich demnächst auf einen Schlag fast verdoppeln. Denn zuletzt zählte das Bundesamt für Verfassungsschutz Ende 2019 insgesamt 32 080 Personen in dieser Kategorie. 7000 Anhänger des "Flügels" sowie 1600 Mitglieder der Jungen Alternative waren damals bereits mitgezählt. Jetzt kommen noch alle übrigen AfD-Mitglieder hinzu. Das sind etwa 24 000 weitere Personen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5185212
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.