Süddeutsche Zeitung

USA:Warum sich George Zimmerman als Opfer sieht

Lesezeit: 3 min

Zimmerman tötete 2012 den Afroamerikaner Trayvon Martin und erweckte damit die "Black Lives Matter"-Bewegung. Jetzt verklagt er Martins Familie auf 100 Millionen Dollar Schadenersatz.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"No Justice, No Peace!" Das war das Motto der Proteste vor sechs Jahren, aus denen die "Black Lives Matter"-Bewegung erwuchs: keine Gerechtigkeit, kein Frieden. Es war eine Kriegserklärung an ein in vielen Augen rassistisches System. Anlass war der Freispruch für George Zimmerman, der ein Jahr zuvor den afroamerikanischen Teenager Trayvon Martin erschossen hatte. Die Leute, die auf den Straßen skandierten und bisweilen auch randalierten, werteten das Urteil als Beweis dafür, dass in den USA ein Hellhäutiger noch immer damit durchkommt, wenn er einen Afroamerikaner abknallt.

Zimmerman wurde zur Reizfigur, zum Symbol der Proteste, und eines lässt sich mittlerweile feststellen: Dieser Mann hat keinen Frieden gefunden. Er hat, das zeigen Gerichtsdokumente, Schulden in Höhe von mehr als 2,5 Millionen Dollar angehäuft. Seine Frau hat sich von ihm getrennt. Er findet keine Anstellung, kommt immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt und fällt mit erratischem Verhalten auf. Der vorläufige Höhepunkt: Die Familie von Trayvon Martin, Ermittler und zwei Zeugen hat Zimmerman nun auf Schadenersatz in Höhe von 100 Millionen Dollar verklagt. Sie seien Teil einer Verschwörung gegen ihn, heißt es in der Klageschrift.

Viele erinnert der Fall an das Jahr 1992, als der Freispruch für die Polizisten, die den Afroamerikaner Rodney King bei dessen Verhaftung brutal zusammengeschlagen hatten, die sogenannten "South Central Riots" in Los Angeles auslöste: 53 Menschen wurden getötet, etwa 2000 verletzt, der Gesamtschaden lag bei mehr als einer Milliarde Dollar. Über Zimmermans Klage wird nun emotional, kontrovers und bisweilen auch irrational debattiert - es lohnt sich deshalb, einen Schritt zurückzutreten und das Gesamtbild zu betrachten.

In den USA ist er für viele die Inkarnation des Rassismus

Zimmerman war 28 Jahre alt und Nachbarschaftswächter in einer geschlossenen Wohngegend in Florida, als er am 26. Februar 2012 den damals 17 Jahre alten Martin sah, der in einem Supermarkt Snacks gekauft hatte und zurück zum Haus der Verlobten seines Vaters lief. Zimmerman rief die Polizei, die ihm sagte, dass er Martin nicht verfolgen solle. Es kam dennoch zur Begegnung, und darüber, was dann passierte, wurde vor Gericht intensiv gestritten. Die Geschworenen urteilten, dass Zimmerman sich rechtmäßig mit einer Waffe verteidigt hatte, aus Notwehr, weil er um sein Leben gefürchtet habe - auch wenn Martin unbewaffnet gewesen sei.

Zimmerman wurde freigesprochen, blieb aber landesweit bekannt als Bösewicht der "Black Lives Matter"-Bewegung, für die er die Inkarnation des Rassismus war. Sein Berufswunsch (Richter) war unerreichbar, er arbeitete als Versicherungsmakler. Im Mai 2015 wurde (wohl aus Rache) auf ihn geschossen, und wann immer es in den USA um Rassismus ging, etwa als im August 2014 ein weißer Polizist den schwarzen Teenager Michael Brown erschoss, wurde der Fall ins kollektive Gedächtnis zurückgeholt.

Zimmermann wollte die Waffe, mit der er Martin getötet hatte, verkaufen

Zimmerman ein Opfer? Sein Verhalten konterkariert diese Selbstinszenierung: In den vergangenen Jahren fiel der Mann immer wieder auf, Raserei und häusliche Gewalt zählen zu den verhältnismäßig geringeren Vorwürfen. Vor drei Jahren zum Beispiel wollte er die Waffe, mit der er Martin getötet hatte, auf einer Online-Plattform versteigern. "Ich bin ein freier Mann und kann mit meinen Sachen tun, was immer ich will", sagte er damals, die Waffe sei "Teil der amerikanischen Geschichte".

Der Verkauf wurde ebenso abgesagt wie ein geplanter TV-Boxkampf, vor dem Zimmerman getönt hatte, gegen jeden anzutreten, der sich mit ihm in den Ring wage. Und dann gab es noch die von Rapper Jay-Z produzierte Dokumentarserie "Rest in Power: The Trayvon Martin Story". Bei den Dreharbeiten wurde offenbar die Familie von Zimmerman kontaktiert. Zimmerman reagierte in einem Interview mit der Ankündigung, dass er Jay-Z Alligatoren zum Fraß vorwerfen wolle: "Ich weiß, wie ich mit Leuten umgehen muss, die sich mit mir anlegen - das mache ich seit Februar 2012."

Auch der Anwalt von ihm hat einen zweifelhaften Ruf

Es gibt nun einen zweiten Dokumentarfilm, "The Trayvon Hoax", er sollte am vergangenen Donnerstag im Coral Gables Art Cinema in Florida gezeigt werden - die Vorstellung ist jedoch abgesagt worden. Darin behauptet der für seine Verschwörungstheorien berüchtigte Filmemacher Joel Gilbert, dass die Ermittler damals ein völlig falsches Bild von Zimmerman gezeichnet hätten, die Hauptzeugin Rachel Jeantel gelogen habe, und die Eltern von Martin den Fall missbrauchten, um ihre Karrieren voranzutreiben. Martins Mutter Sybrina Fulton kandidiert derzeit für einen Sitz im Bezirkstag in Florida. "Ich wollte das nie tun - ich habe jedoch erkannt, dass ich keine Wahl habe", sagt sie: "Ich will diese Tragödie für positive Veränderungen nutzen."

Zimmermans Klage basiert nun auf diesem Film. "Sie alle haben gewusst oder hätten wissen müssen, dass es Schummeleien mit der Zeugin, Behinderung der Justiz und Meineid gegeben hat", heißt es in einem Statement von Zimmermans Anwalt Larry Klayman. Der hatte einst eine Klage gegen den damaligen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama angestrengt, weil der nicht in den USA geboren sei - eine Falschbehauptung, die auch Donald Trump immer wieder aufgegriffen hat.

"Ich bin mir sicher, dass diese Klage als das gesehen wird, was sie ist: ein weiterer schamloser Versuch, von der Trauer anderer zu profitieren", sagt jedenfalls Ben Crump, der Anwalt der Martin-Familie. Zimmerman wolle "uns glauben machen, dass er das unschuldige Opfer sei - ohne auch nur einen einzigen glaubhaften Beweis dafür zu liefern". Den Film "The Trayvon Hoax" übrigens will bislang kein einziges Kino zeigen.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2019
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