Süddeutsche Zeitung

Spanien:Sitz!?

Lesezeit: 2 min

Hunde vor dem Laden anzubinden, ist verboten, Katzenbesitzer müssen ihre Tiere sterilisieren lassen: Das neue "Gesetz zum Wohlbefinden der Tiere" verursacht in Spanien Aufregung.

Von Patrick Illinger

Das neue Gesetz war erst einige Stunden in Kraft, als der erste Verstoß gemeldet wurde. Angeblich hatte eine Frau im galicischen Vigo ihren Dalmatiner vor einer Apotheke angebunden, um ein Paar Einlegesohlen abzuholen. Das habe ihr einen Strafzettel in Höhe von 500 Euro eingebracht, berichteten Lokalmedien.

Später verneinte die Polizei, dass es zur Anzeige gekommen sei. In jedem Fall spiegelt die Episode die heillose Verwirrung bei Millionen Haustierbesitzern, seit vor drei Wochen ein "Gesetz zum Wohlbefinden der Tiere" in Kraft getreten ist. Täglich diskutieren Medien und Internetnutzer, was nun noch erlaubt oder verboten sei.

Sicher ist: Das Anbinden von Hunden vor Geschäften und Supermärkten, und sei es nur für wenige Minuten, ist neuerdings ein sanktionswürdiges Vergehen. Gleiches gilt für Tiere im Auto. Auch dürfen Hunde nicht mehr als 24 Stunden zu Hause allein gelassen werden, für Katzen gelten drei Tage. Alle Haustiere, auch Papageien, Reptilien und Nager, müssen zudem registriert und mit Mikrochips oder Ringen markiert werden. Tierhalter müssen Kurse absolvieren und Versicherungen abschließen. Und: Privatleute müsse ihre Katzen ausnahmslos sterilisieren lassen.

Um von den 9,3 Millionen Hunden Spaniens keine zu diskriminieren, schafft das Gesetz die Einstufung gefährlicher Rassen ab, künftig soll es eine Art Sozialverträglichkeitstest auf individueller Basis geben. Auch sind Gemeinden fortan verpflichtet, sich um streunende Tiere zu kümmern. Wild lebende Katzen müssen gezählt, identifiziert, sterilisiert und auf ihren Gesundheitszustand sowie Ernährung kontrolliert werden.

Das ambitionierte, 54 Seiten lange Gesetz stammt aus dem Ministerium für Sozialrechte. Die zuständige Ministerin Ione Belarra von der Linkspartei Unidas Podemos ist für extreme Vorstöße bekannt: Dieser Tage fordert sie, Israels Staatschef Netanjahu vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Genozids anzuklagen.

"Das Gesetz hilft niemandem", wetterte sogar die Vertreterin der Tierschutzorganisation Semper Fiel in einer Lokalzeitung. Die Zahl aufgegebener Hunde steige derzeit, "weil die Menschen weder die Kosten noch die Verpflichtungen eingehen wollen, die die neue Regelung verlangt". Vertreter der konservativen Partido Popular nannten das Gesetz "Pfusch". Auch haben sich Hunderte Wissenschaftler in einer Petition dagegen ausgesprochen.

Kritik entzündet sich auch daran, dass das Gesetz zwar manch gut gemeinte Vorgabe für Haustiere macht, aber die übrige Tierwelt nicht erfasst. Für Nutzvieh ist das Landwirtschaftsministerium zuständig, Kampfstiere unterstehen dem Kulturministerium. Und nachdem es Proteste von Jägern gegeben hatte, tilgte Ministerpräsident Pedro Sánchez auch Jagdhunde aus der Regelung.

Vielerorts verweigern nun Regional- und Kommunalverwaltungen die Durchsetzung des Regelwerks. Die zuständige Stadträtin von Toledo erklärte im Radio, derzeit keine Bußgelder zu erheben. Außer bei eindeutigen und frappierenden Vergehen sei die Durchsetzung des neuen Gesetzes doch sehr kompliziert.

So gesehen wird wohl noch so manche Hundebesitzerin ihr mascota noch vor dem Gemüseladen anbinden. Die Strafe dafür kann allerdings, so das neue Tierwohl-Gesetz, bis zu 10 000 Euro betragen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6291161
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.