Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Kopenhagen:"Schlimmster Albtraum"

Lesezeit: 3 min

Nach dem Anschlag in einem Einkaufszentrum in Kopenhagen wirft die Polizei einem 22-Jährigen mehrfachen Mord vor. Für die U-Haft muss er nun in eine geschlossene psychiatrische Abteilung. Vor der Tat soll der Däne verstörende Videos aufgenommen haben.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Zwei dänische Teenager und ein 47-jähriger Russe sind tot, zwei weitere Dänen und zwei Schweden liegen schwerverletzt im Krankenhaus. "Zufallsopfer" seien sie wohl, hatte Polizeihauptkommissar Søren Thomassen am Morgen danach gesagt. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Der Täter hatte am Sonntagabend wahllos in die Menge geschossen an einem der belebtesten Plätze Kopenhagens: im Field's-Einkaufszentrum im Süden der dänischen Hauptstadt, wo sich zu der Stunde besonders viele junge Leute die Zeit vertrieben, um wenig später zum Konzert des britischen Popstars Harry Styles zu gehen, das in der Royal Arena, nur ein paar Fußminuten entfernt, stattfinden sollte.

Das Kopenhagener Stadtgericht entschied am Montag, den mutmaßlichen Täter für die Untersuchungshaft für 24 Tage in eine geschlossene psychiatrische Abteilung einzuweisen. Die Entscheidung sei aufgrund des Verhaltens des Verdächtigen, seiner Aussagen und des Aktenwissens über ihn gefallen, sagte Staatsanwalt Søren Harbo im dänischen Fernsehen. Wäre er auf freiem Fuß, bestünde die Gefahr, dass er einen ähnlichen Angriff verüben könnte.

Zu Beginn der Vernehmung hatten Journalisten erstmals Gelegenheit, einen Blick auf den 22-jährigen Dänen zu werfen. Blonde Haare, ein blaues T-Shirt, die Hände mit Handschellen fixiert, so wurde er in den Saal geführt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun mehrfachen Mord, versuchten Mord und Verstöße gegen das Waffenrecht vor. Nach Angaben seiner Verteidigerin hat er zu den Vorwürfen noch keine Stellung bezogen. In einer Polizei-Befragung hatte er aber zuvor zugegeben, am Tatort gewesen zu sein.

Die Frage nach dem Warum trieb am Montag die Dänen um. Einen Terrorakt immerhin schloss die Polizei schon am frühen Morgen aus, ebenso erklärte sie, der Verdächtige habe wohl allein gehandelt und habe keine Hilfe von anderen erhalten. Der Angriff sei allerdings "überlegt und vorbereitet" gewesen.

Der 22-Jährige soll vor der Tat noch versucht haben, eine Krisenberatungs-Hotline anzurufen

Offenbar hatte der 22-Jährige in der Vergangenheit psychische Probleme. Die Polizei bestätigte, dass er Psychiatern "bekannt" sei. Dänische Medien berichteten von vier verstörenden Videos, die der Mann am Tag vor der Tat auf Youtube hochgeladen habe. In keinem der Videos sagt der 22-Jährige etwas. Der Zeitung Berlingske zufolge blickt er in die Kamera und hantiert mit seinen Waffen: einer Pistole und einem Gewehrmodell, das bei Sportschützen beliebt ist. Man sehe, wie er die Pistole an seine Schläfe hält und wie er sie in seinen Mund stecke. Er drückt ab, es macht Klick. Dazu spielt im Hintergrund Musik. Auf seinem Profil hatte der Mann eine Reihe von Playlisten aktualisiert mit Titeln wie "Killer music", "Feeling sad" und "Last thing to listen to". Außerdem hatte er offenbar einen Youtube-Kanal abonniert, auf dem Waffen rezensiert und getestet werden. Youtube hatte die Videos am Sonntag schon gelöscht.

Einigen der Videos hatte er den Titel "I don't care" gegeben: mir egal. Unter eines hatte er geschrieben: "Quetiapine doesn't work", Quetiapin funktioniert nicht. Quetiapin ist ein Medikament, das unter anderem zur Behandlung von bipolaren Störungen - die aus manischen und depressiven Episoden bestehen - und Psychosen wie Schizophrenie eingesetzt wird. Der öffentlich-rechtliche Sender DR meldete unter Berufung auf mehrere Quellen, der 22-Jährige habe kurz vor der Tat noch versucht, eine Krisenberatungs-Hotline anzurufen. Das Gespräch sei jedoch nicht zustande gekommen. Die Polizei wollte das nicht kommentieren. Auch Justizminister Mattias Tesfaye und Premierministerin Mette Frederiksen wollten am Montag noch keine Frage zum Thema Psychiatrie beantworten. Dazu sei es noch zu früh, erklärte Frederiksen.

Die Premierministerin hatte am Mittag Blumen niedergelegt vor dem Eingang des Einkaufszentrums. Hier seien Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf dem Weg in die Sommerferien Opfer eines "außergewöhnlich brutalen Angriffs" geworden. Innerhalb weniger Minuten hätten sie sich wiedergefunden "im schlimmsten Albtraum, den man sich vorstellen kann".

Die Tat geschah am Ende eines Wochenendes, in dem ganz Dänemark in Feierstimmung gewesen war: Hunderttausende Menschen bejubelten die Etappen der Tour de France in ihrem Land, erstmals wurde wieder das Roskilde-Festival gefeiert, eines der größten Open-Air-Festivals Europas. "Ich glaube, wir haben selten einen so heftigen Kontrast erlebt wie gestern", sagte Mette Frederiksen. "Im Bruchteil einer Sekunde waren die Party und die Freude zu Ende, und wir wurden heimgesucht vom Schlimmsten, was man sich nur vorstellen kann."

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