Süddeutsche Zeitung

Rheinischer Karneval:Feiern bis die Grenze kommt

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Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann setzt in diesem Jahr auf "gesicherte Brauchtumszonen" im Karneval. Das klingt nicht nur jeck, das ist es auch.

Von Martin Zips

Man könnte es sich ganz einfach machen und erklären: Das Leben ist eine Grauzone. Nicht ganz schwarz, nicht ganz weiß. Halt irgendwas dazwischen. Aber mit Grauzonen hat es der Mensch nicht so, er schätzt klare Linien: Hier also darf noch geraucht werden, dort drüben aber nicht. Hinter dem Baum darf man nackig baden, vor dem Baum ist das verboten. Drinnen muss man Maske tragen, draußen nicht. Zur Orientierung hilft entweder ein rot-weiß-gestreiftes Band, ein Schild, ein Ordner oder der böse Blick eines Mitmenschen. Das Problem dabei erkannte schon der Philosoph Arthur Schopenhauer: "Jeder Mensch hält die Grenzen seines eigenen Gesichtsfeldes für die Grenzen der Welt."

Der rheinische Karneval soll heuer in "gesicherten Brauchtumszonen" ausgetragen werden. Allein Geboosterte oder zweifach Geimpfte mit Test dürfen in diese Areale rein. So hat es der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) gemeinsam mit Narren aus Köln, Bonn, Düsseldorf und Aachen entschieden. Der Straßenkarneval wird so zu einer Art Reservat, einer Open-Air-Schützenhalle, einem gesicherten Brauchtumsgebiet, welches man englischsprachigen Gästen vielleicht mit "locked tradition-zone" übersetzen könnte.

Karnevalsforscher wie der Kölner Buchautor Wolfgang Oelsner sehen in dieser Maßnahme kein Problem. Das "Narrenspiel" sei schon immer "ein Spiel innerhalb bestimmter Grenzen und ein Spiel auf Zeit" gewesen, erklärte Oelsner dem evangelischen Pressedienst. Klare Linien gehörten hier dazu. Dank ihnen, so könnte man mit dem Titel eines einst erfolgreichen Albums der Mundart-Gruppe BAP sagen, geht es für den fröhlichen Karnevalisten dann entweder "vun drinne noh drusse" oder "von drusse noh drinne".

Dass die Welt voller klarer Linien ist, das ist schon den Pythagoreern im sechsten vorchristlichen Jahrhundert aufgefallen. Tag und Nacht, Körper und Geist, gerade und ungerade, rechts und links, weiblich und männlich - eindeutiger geht es nicht. Heute allerdings wird oft gefragt: Gibt es nicht auch halblinks, gedimmt oder queer? Ja, gibt es! Doch je definierter sie sind, unsere Kategorien, desto leichter fällt dem Menschen die Orientierung. Das haben auch Neuropsychologen der Ruhr-Universität Bochum im Jahr 2016 herausgefunden: Abgrenzung trägt zur Entspannung bei. Und genau deshalb gibt es sie ja: die Fußgängerzonen, die Zeitzonen, die Wirtschaftszonen, die erogenen Zonen und jetzt eben auch die gesicherten Brauchtumszonen.

Brauchtum im Rheinland allerdings - und hier wird es dann doch noch kompliziert - das heißt nicht selten: "Hopp, hopp, in dä Kopp" oder "Nit lang schwade - lade!" (auf Hochdeutsch: Prost!). Und somit dürfte es aus neuropsychologischer, kulturhistorischer und infektiologischer Sicht gar nicht so einfach sein, wenn die Freunde des Karnevals die eigens für sie gezogenen Grenzen zwar noch beim Betreten der Brauchtumszonen erkennen, beim Verlassen ebendieser sich allerdings in schwankenden Grauzonen bewegen. Und so verschwimmt sie dann doch, die ein oder andere wirklich gut gemeinte Grenze im Karneval.

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