Süddeutsche Zeitung

Tauben in Städten:Ich lieb dich, ich lieb dich nicht

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Die Taube wird vom Menschen mal verehrt, mal verflucht. In Erfurt wollen Tierschützer die beliebten Hochzeitstauben verbieten. Damit sie nicht zu verhassten Stadttauben werden.

Von Marcel Laskus

Sogenannte Hochzeitstauben sind bis heute beliebt. Die Tiere steigen in den Himmel, unter Applaus und Konfetti, sobald sie aber aus den Augen sind, verändert sich auch ihr Sinn - und zwar ins Gegenteil. Manche der weißen Tiere gurren dann schon bald heimatlos mit ihren grauen Artgenossen auf den Fensterbrettern von Mehrfamilienhäusern umher, auf Marktplätzen und den Dächern von Bushaltestellen. Bis ein Menschenschuh angeflogen kommt und sie kurzfristig verscheucht.

In der an Mehrfamilienhäusern, Bushaltestellen und Marktplätzen sehr reichen Stadt Erfurt soll nun Schluss damit sein. Knapp vor Beginn der Saison fordert der dortige Taubenverein das Ende der Hochzeitstauben. "Der schönste Tag des Lebens kann der letzte sein für die Tauben", sagt Birte Schwarz, die den Verein leitet. Die Grünen im Stadtrat stimmten zu und prüfen nun ein Verbot. Die Tauben fänden zum Teil nicht mehr nach Hause zurück, so die Argumentation, sie steigern die hohe Population.

Nur eine Randbemerkung im Einsatz für den Tierschutz ist das einerseits. Andererseits gibt es kaum ein anderes Tier, das so sehr verehrt und so sehr verflucht wird, ohne dass das ein größerer Widerspruch zu sein scheint. Gerade jetzt, da Hochzeits- und Friedenstauben Saison haben.

Bis heute finden sich auf Kleinanzeigen-Portalen Angebote für weiße "Hochzeitstauben". Die einzelne Taube gibt es für ein paar Euro, geliehen oder gekauft. Auch gewerbliche Anbieter sind in vielen Ecken des Landes angesiedelt. Schon qua Funktion hat Christoph Schulte vom Verband Deutscher Brieftaubenzüchter und Chefredakteur der "Brieftaube" damit eher kein Problem, auch wenn er findet: Sogenannte Rassetauben dürften nicht als Hochzeitstauben eingesetzt werden, da sie nicht zu ihrem Taubenschlag zurückfinden, was für die Tiere eine Gefahr sei. Anders Brieftauben, die ihren Heimweg meist kennen. "Die Brieftauben haben Spaß am Fliegen", sagt Schulte. "Wenn ich ein Tier sein müsste, dann gern eine Brieftaube." Birte Schwarz vom Erfurter Taubenverein sieht das anders: "Die Tiere sollten nicht für so etwas herhalten, weder als Hochzeits- noch als Brieftauben." Denn die Tiere werden von ihrem Taubenschlag getrennt.

Dass aus diesem Wunsch etwas wird, ist eher unwahrscheinlich. Nur in wenigen Städten - etwa Bietigheim-Bissingen in Baden-Württemberg - ist das Ritual bislang verboten. Zu wichtig scheint die historische Symbolkraft der Taube zu sein.

Die Taube: symbolisch verklärt und dennoch ein Tier für den Magen

Noah entsandte die Taube einst als Boten aus der Arche. Verliebte werden zu Turteltauben erklärt. Ein Fußballverein in Uganda führt die Taube im Namen und Wappen. Kirchen und Kommunisten haben sie als Symbol. Es gibt andere Tiere, da entscheidet sich der Mensch gewissermaßen für nur eine Art des Umgangs: Das Schwein wird gegessen, aber nur ausnahmsweise ins Haus gelassen. Der Hund wird aufs Sofa gehoben, aber nur ausnahmsweise verspeist. Die Taube war immer schon alles gleichzeitig: symbolisch verklärt und auf dem Speiseplan zu finden, zumindest für lange Zeit.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein sollen in Wien jährlich 750 000 Tauben verzehrt worden sein. In Deutschland ist das nicht mehr so. Das mag mit dem Image zusammenhängen, das die Taube nach dem Zweiten Weltkrieg bekam. Die Population wuchs in den Städten, denn die Tiere fanden eine Heimat in den Ruinen der zerbombten Häuser. Nun war von der "Ratte der Lüfte" die Rede, und zumindest im übertragenen Sinne verlor die Taube ihre weiße Weste. Was nichts daran änderte, dass sie weiter verehrt wurde. Im Jahr 1966 hatte der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter mehr als 100 000 Mitglieder. Heute sind es immerhin noch 30 000.

Warum nicht statt weißer Tauben Schaumwolken in den Himmel steigen lassen?

In der Freiheit blieben Städte für Tauben hingegen weiter Ballungsräume - zu ihrem eigenen Leid. 90 Prozent der Stadttauben überstehen laut Nabu ihr erstes Lebensjahr nicht. Die hohe Population erhöht auch die Konkurrenz um Futter. Womit man beim nächsten menschlichen Widerspruch wäre. Gutmeinende Großeltern und Kinder werfen den Tauben Brot und Brezen zu. Das aber hat kaum Nährstoffe. Die Tiere verhungern mit vollem Magen.

Manches aber verändert sich zum Guten. Es gibt Modellversuche, bei denen die Zahl der Tauben eingehegt wird. In Erlangen und Berlin etwa konnte die Population deutlich verringert werden, ohne den Tieren zu schaden. Und auch für die Hochzeitstaube wird von manchem Wedding Planner mittlerweile an federfreien Alternativen gearbeitet. Etwa an Wolkenmaschinen, mit denen sich Schaum in Wunschform in den Himmel blasen lässt.

Doch wäre da schon das nächste Problem, das mit dem 24. Februar 2022 aufkam. Birte Schwarz erzählt, seit Kriegsbeginn in der Ukraine habe die Zahl der Friedenstauben zugenommen. Im Radio hörte sie einmal von einer Grundschulklasse, die Tauben aufsteigen lassen wollte, um ein Zeichen zu setzen gegen den Krieg. Schwarz habe dort angerufen und darum gebeten, das sein zu lassen. "Nützte nichts." Die Tauben stiegen in den Himmel auf, kehrten zum Glück aber zurück.

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