Süddeutsche Zeitung

Wetter:Hitzerekord in Frankreich gebrochen

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Von Leo Klimm, Paris

Als Umweltminister François de Rugy jüngst in einem Fernsehstudio saß und tatsächlich die Krawatte wegließ, da sollte dies eine Botschaft sein: Frankreichs Regierung geht mit gutem Beispiel voran. Der Minister hört auf den Rat von Agnès Buzyn, der Kollegin vom Gesundheitsressort, bei dieser Hitze "die Kleiderordnung anzupassen". Der Schlips-Verzicht brachte de Rugy viel Spott in den sozialen Netzwerken ein, weil sein vermeintlicher Bruch der Konventionen allzu gewollt erschien. Die Regierung aber ignorierte den Spott - und ließ Spots folgen. In Radio und Fernsehen verbreitet sie elementare Hinweise zum Umgang mit hohen Temperaturen: "Trinken Sie regelmäßig Wasser. Befeuchten Sie mehrfach am Tag Ihren Körper. Schließen Sie tagsüber die Fensterläden."

Die Hitze, die über Europa liegt, ist in Frankreich eine Staatsaffäre. Alles andere - sei es die Reform der Arbeitslosenversicherung oder die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen, die gerade dort ausgetragen wird - gerät in den Hintergrund. Zu Beginn der Woche hatte Präsident Emmanuel Macron "den Einsatz der gesamten Regierung" angekündigt, um die Franzosen vor dem heißen Wetter zu schützen. Der Staatschef weiß, dass er entsprechend der politischen Kultur des Landes für alles verantwortlich gemacht wird. Auch für den richtigen Umgang der Bürger mit der canicule, der Glutzhitze. So das Schlagwort, das über die bloße Hitze ( chaleur) hinausgeht. In ihm schwingt Todesgefahr mit.

In Frankreich ist die Erinnerung an die canicule von August 2003 wach. Damals starben 15 000 Menschen mehr als sonst in dem Sommermonat, und die Regierung wurde dafür verantwortlich gemacht. "Ich wünsche, dass es dieses Jahr keinen zusätzlichen Todesfall gibt", sagt Ministerin Buzyn. Sie machte prompt 15 Millionen Euro locker, damit die wegen der Hitzewelle überlasteten Krankenhäuser in der Urlaubszeit Extra-Personal einstellen können. Es ist auch wirklich anhaltend heiß in Frankreich. An diesem Freitag wurde der bisherige französische Hitzerekord von 44,1 Grad übertroffen. In der Kleinstadt Carpentras im Süden des Landes wurden zunächst 44,3 Grad gemessen. Später kam dann noch eine Steigerung: im etwa 100 Kilometer entfernten Villevieille erreichten die Temperaturen 45,1 Grad.

Also empfiehlt der Städtebauminister Baufirmen, sie sollten Mitarbeitern mindestens drei Liter frisches Wasser pro Tag stellen. Das Sportministerium lässt Wettkämpfe verschieben. Und der Bildungsminister die Prüfungen zur Mittleren Reife, die für diese Woche geplant waren. Sie werden nächste Woche nachgeholt. Diese Entscheidung löste indes eine Debatte aus, ob es Prüflingen zuzumuten sei, wegen der Verschiebung auf lange geplante und womöglich teure Urlaubsreisen zu verzichten. Der Minister zeigte Verständnis. In "familiär begründeten Fällen" könne das Examen im September nachgeholt werden.

In vielen Großstädten zieht die Hitze starke Luftverschmutzung nach sich. Deshalb dürfen dort zurzeit nur neuere Autos fahren. Macron wiederum mahnt, die Franzosen müssten ihre Gewohnheiten ändern. Angesichts des Klimawandels werde die canicule Frankreich immer öfter heimsuchen. Er habe die Regierung beauftragt, einen Plan zur Anpassung an den Klimawandel zu erarbeiten. Erst am Mittwoch hatte ein Expertengremium die Regierung getadelt. Ihre Anstrengungen für den Klimaschutz seien "ungenügend".

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SZ vom 28.06.2019
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