Süddeutsche Zeitung

Ex-Chefredakteur von "Charlie Hebdo":"Ich habe alle meine Freunde verloren"

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Philippe Val war 17 Jahre lang Chefredakteur von "Charlie Hebdo". In einem emotionalen Interview erinnert er sich im französischen Radio an seine ehemaligen Kollegen, die bei dem Anschlag auf die Satirezeitung getötet wurden.

Von Oliver Klasen

Da sind die 35 000 auf der Place de la République in Paris - und nochmal Zehntausende in anderen französischen Städten. Da ist Präsident François Hollande bei seiner Rede im Élysée-Palast. Und da ist eine ganze Nation, die den Anschlag auf die Redaktion der Charlie Hebdo als Angriff auf sämtliche Werte begreift, die ihr wichtig und teuer sind.

Wenn sie alle betroffen, traurig und geschockt sind an diesem Tag, dann müsste Philippe Val zerschmettert sein. Und er ist es auf den ersten Blick. "Ich habe heute alle meine Freunde verloren", sagt der ehemalige Charlie-Hebdo-Chefredakteur, der die Satirezeitung 17 Jahre lang leitete, in einem Interview mit dem Radiosender France Inter.

Genau 5:26 Minuten dauert der Videoclip von dem Gespräch mit Moderator Nicolas Demorand, den der Sender auf Youtube gestellt hat. Es zeigt einen Mann, dem immer wieder die Stimme wegbricht. Der ein-, zweimal Mühe hat, Worte zu finden. Dem alle paar Sekunden die Tränen kommen.

"Es waren ziemlich lebendige Menschen, denen es am Herzen lag, andere zum Lachen zu bringen, die noble Ansichten hatten. Es waren sehr gute Menschen", sagt Val über die toten Zeichner, Journalisten und Angestellten, die für ihn nach all den Jahren viel mehr waren als Kollegen. Auch nachdem Val Charlie Hebdo 2009 verlassen hatte, um seine Karriere als Chef von France Inter fortzusetzen, hatte er immer engen Kontakt gehalten, wie französische Medien berichten.

"Wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, dann würde ich ihnen sagen, wie sehr ich sie liebe. Wie unverzichtbar sie für mein Leben waren und unverzichtbar auch für alle, die die Freiheit zum Leben brauchen", sagt Val.

"Es gibt ab jetzt ein Davor und ein Danach"

Für ihn ist klar, dass dieser Anschlag alles verändern könnte; dass er für Frankreich womöglich eine ähnliche Zäsur bedeuten könnte, wie es der 11. September 2001 für die USA gewesen ist. "Es gibt ab jetzt ein Davor und ein Danach. Unser Land wird ab jetzt nicht mehr dasselbe sein. Man hat heute eine bestimmte Art, Journalismus zu machen, ausgelöscht", sagt der ehemalige Chefredakteur.

Val, das zeigt sich im Verlauf des Interviews, ist nicht zerschmettert. In all der Trauer schleudert er den Tätern seine Überzeugung entgegen: "Wir müssen uns vereinen gegen diesen Horror. Wir dürfen die Stille nicht gewinnen lassen. Wir müssen denken und wir müssen reden. Der Terror darf uns nicht den Lebensmut nehmen, die freie Meinungsäußerung, die Demokratie. Es ist unsere Brüderlichkeit, die dazu führt, dass wir leben können."

"Einen Akt des Krieges", nennt Val den Anschlag, und er fordert eine Antwort. "Vielleicht wäre es gut, wenn morgen alle Zeitungen Charlie Hebdo heißen. Wenn wir alle Charlie Hebdo auf den Titel schreiben. Das würde zeigen, dass wir nicht damit einverstanden sind, dass wir das niemals akzeptieren werden." Und er übt Kritik, an den Journalisten, von denen auch er einer ist: "Vielleicht waren die Medien nicht auf der Höhe in den vergangenen Jahren. Viele Muslime wurden heute in eine Katastrophe gestürzt. Auch sie sind in Gefahr. Wir haben nicht genug über diesen immer weiter um sich greifenden Radikalismus in Frankreich geredet."

"Wir werden nicht in Angst leben", sagt er zum Schluss.

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