Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Alles Gute":Hollywood für Fischfreunde

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Nach acht Monaten Pause wird in Tokio wieder Thunfisch vor Publikum versteigert. Das Wettbieten ist genau jene Mischung aus Action und japanischer Routine, die es in diesen unsicheren Zeiten braucht.

Von Thomas Hahn

Der Fischmarkt von Tokio ist für Liebhaber der Meeresfrucht das, was Wimbledon für Tennis-Freaks und Hollywood für Filmfreunde ist. Ein Anziehungspunkt. Ein Sehnsuchtsort. Ein Muss. Tokios Fischmarkt ist der größte seiner Art auf der ganzen Welt. Seit seinem Umzug von den alten Hallen in Tsukiji ins Neubaugebiet von Toyosu vor zwei Jahren ist er außerdem eine hochmoderne, blankgeputzte Lebensmittelbörse. Ein Vorzeige-Umschlagplatz für Japans Leibspeise. Hier kann man sich vergewissern, dass das Leben im Inselstaat noch halbwegs in Ordnung ist.

Es war deshalb überhaupt kein gutes Gefühl, als der Fischmarkt wegen des Coronavirus im Februar seine Zuschauertribünen zumachte. Erst ab Anfang Juni durfte das allgemeine Publikum wieder rein. Zunächst nur auf die oberen Ränge bei verkürzten Öffnungszeiten zwar - aber immerhin, das Leben ging weiter. Und mittlerweile ist die nächste Stufe der Genesung erreicht. Seit Anfang November ist nach acht Monaten Pause auch die fast tägliche Thunfischauktion wieder für Zuschauer frei. 120 Menschen durften zu normalen Zeiten auf die Spezialtribüne, von der aus man hinter dünnem Glas das geräuschvolle Treiben der Händler verfolgen kann. Jetzt sind erst mal nur 27 erlaubt. Trotzdem: ein Fortschritt.

Eine Mischung aus Action und Routine

Wegen des Einreiseverbots sind gerade keine ausländischen Touristen da. Schon deshalb passt die gekürzte Zuschauerzahl in die Zeit. Und wer da ist, will keine Angst vor Ansteckungen haben müssen, sondern in Frieden das Wettbieten ums beste Fanggut genießen. Das Ereignis beginnt immer früh am Morgen, dieser Tage um fünf vor sechs. Man muss sich vorher anmelden. Die Versteigerung dauert eine halbe Stunde und zeigt genau jene Mischung aus Action und japanischer Routine, die in diesen unsicheren Zeiten die Seele beruhigt.

Auch in Japan steigen die täglichen Infektionszahlen wieder. Am Donnerstag vermeldete die Regierung einen nationalen Rekord von 1660. In Europa würde der Wert Jubel auslösen, weil er so niedrig ist. Für Japan ist er hoch. Experten sind besorgt. Es gibt neue Mahnungen. Laut der Zeitung Asahi Shimbun hat Gesundheitsminister Norihisa Tamura im Coronavirus-Unterausschuss des Kabinettbüros erklärt, er wolle, dass die Leute in Zukunft auch beim Essen und Trinken Masken tragen.

Keine schönen Aussichten, auch wenn eine Restaurantkette vor Monaten schon einen schleierartigen Gesichtsschutz vorgestellt hat, hinter dem man Nahrung zum Mund führen kann. Werden demnächst selbst existenzielle Tätigkeiten umständlich in Japan?

Jedenfalls tut es gut, sich zwischendurch der Aufregung zu entziehen und Tokios Thunfischvermarktern bei der Arbeit zuzusehen. Solange es noch möglich ist.

In dieser Kolumne schreiben SZ-Redakteure wöchentlich über ihre persönlichen, tröstlichen Geschichten in diesen vom Coronavirus geplagten Zeiten. Alle Folgen unter sz.de/allesgute

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