Süddeutsche Zeitung

Neuer Erinnerungsort:Zeichen gegen das Vergessen

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Beim Festakt zur Eröffnung der Waldramer Dokumentationsstätte loben Zeitzeugen und Politiker den Einsatz des Vereins, der das Badehaus gerettet hat.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

Es ist ein ergreifender Moment, als Shoshana Bellen ans Mikrofon in Waldram tritt. Die gepflegte ältere Dame mit dem Kurzhaarschnitt und der schwarzen Brille ist 1946 als Blanka Hellman in Föhrenwald geboren, dem größten und am längsten bestehenden Lager für Überlebende des Holocaust. Als Dreijährige emigrierte sie mit ihren Eltern in die USA. Fast 70 Jahre später steht sie wieder hier und spricht davon, wie überwältigend emotional es für sie gewesen sei, an die Tür ihres Geburtshauses in der damaligen Florida Street zu klopfen, und die Familie aufmachte, die es seit 1957 bewohnt. Während ihre Eltern es nie übers Herz brachten, zurück zu ihren Wurzeln zu reisen, habe sie 2016, zu ihrem 70. Geburtstag, den Entschluss dazu gefasst. Beim Googeln sei sie auf die Bürgerinitiative und ihren Kampf um den Erhalt des historischen Badehauses gestoßen. Zum Schluss ihrer Rede ruft Bellen zur Versöhnung der Völker auf.

Einen Saal, der groß genug wäre, um all die Gäste unterzubringen, besitzen die neuen Ausstellungsräume gar nicht. Deshalb findet der Festakt zur Eröffnung des "Erinnerungsorts Badehaus" in der Schulaula des Kollegiums Sankt Matthias statt. Mit Shoshana Bellen sind 60 andere ehemalige Displaced Persons und deren Angehörige aus Israel, den USA und Deutschland angereist. Die ältesten Zeitzeugen sind die 97-jährige Petronella Kornhauser aus Frankfurt und der 95-jährige Chaim Buchsbaum aus München. Das Interesse an der Veranstaltung ist international, das beweisen die ausländischen Kamerateams und die Honoratioren aus Israel und USA. Auch viel lokale und landesweite Politprominenz ist gekommen.

Mit einfühlsamen Worten würdigt Sybille Krafft die Lebensschicksale der Bewohner von Föhrenwald und Waldram und zieht auch die Parallele zur heutigen Situation der Flüchtlinge. "Es ist unsere Verantwortung, die Erinnerung an die nächste Generation weiterzugeben", mahnt die Vorsitzende des 2012 gegründeten Vereins, der das Gebäude vor dem Abriss rettete und die Ausstellung initiierte. Sie ruft dazu auf, den "Wald der Erinnerung" mit weiteren Lebensschicksalen und Zeitzeugenberichten von Föhrenwaldern und Waldramern zu füllen. "Es soll kein totes Museum sein, sondern ein lebendiger Ort des lebenslangen Lernens." Einen "Antragsmarathon" bei kommunalen und staatlichen Stellen habe es für die Finanzierung gebraucht, hat zuvor ihr Stellvertreter Wolfgang Saal erklärt, der sich im Namen des Vereins bei allen Unterstützern bedankte.

Mit 500 000 Euro habe die Stadt Wolfratshausen das Projekt unterstützt, erklärt Bürgermeister Klaus Heilinglechner. "Damit haben wir nicht nur in die Aufarbeitung der Vergangenheit investiert, sondern auch in die Gestaltung der Zukunft." Er würdigt das Engagement von Sybille Krafft und ihrer Mitstreiter im Verein. Das tut auch Florian Herrmann, der Leiter der Staatskanzlei. Er unterstreicht die Bedeutung des Projekts: Gerade weil immer mehr Zeitzeugen verstummten, seien Erinnerungsorte unentbehrlich, sagt er. "Mit der Einweihung des Badehauses setzen wir ein Zeichen gegenüber denjenigen, die vergessen und verdrängen wollen."

Gekommen ist auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Dass die DP-Camps so lange ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte gewesen seien, sei aus heutiger Sicht schwer zu verstehen. Schließlich seien Hunderttausende aus dem Ostblock in die westliche Besatzungszone geflohen, um Zuflucht vor Pogromen zu finden. Schuster erinnert nicht nur an Verzweiflung der Überlebenden, sondern auch an Momente wie Schlittenfahren und Beerensammeln in den DP-Camps, die die schwer traumatisierten Eltern als glückliche Erinnerung an ihre Kinder weitergeben wollten. In Föhrenwald sei die Keimzelle jüdischen Lebens nach der Shoah entstanden. Für ihn ist die Ausstellung Badehaus ein "rundum gelungenes Konzept" jüdischer und deutscher Geschichte.

Nach der Feierstunde gibt es eine ökumenische Segnung. Rabbiner Steven Langnas, Weihbischof Wolfgang Bischof und Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler geben der neuen Dokumentationsstätte das geistliche Geleit. Danach durchwandern viele Zeitzeugen die Räume auf den Spuren ihrer Geschichte.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2018
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