Süddeutsche Zeitung

Schreiner-Handwerk:"Da ist kein Leim dran, keine Schrauben, einfach nur Holz"

Lesezeit: 3 min

Der Lenggrieser Schreiner Josef Öttl arbeitet auch gerne mal mit Trendholzarten. Am liebsten ist ihm aber immer noch die Fichte. Daraus baut er nicht nur Möbel, sondern auch manch prämiertes Unikat.

Von Kathrin Müller-Lancé, Lenggries

Auf den ersten Blick sieht Josef Öttls "Kiste" relativ schlicht aus: Eine Holzkiste eben, etwa anderthalb Meter lang, aus heller Fichte gezimmert. Das Besondere daran zeigt sich erst, als der Schreiner sie öffnet. Es quietscht. Der Geruch von Sägespänen steigt auf. Öttl fährt mit den Fingern über die Kanten. "Da ist kein Leim dran, keine Schrauben, einfach nur Holz", erklärt der Schreiner. Der Stolz ist ihm durchaus anzuhören. Seine Kiste hält ausschließlich durch Holzverbindungen zusammen, durch Schrauben aus Holz und Scharniere aus Holz. Letztere hat ein befreundeter Drechsler für Öttl hergestellt. Etwa 80 bis 100 Stunden habe er an seiner Kiste gewerkelt, schätzt Öttl.

Und die Arbeit hat sich gelohnt: Beim Schreinerwettbewerb "Holz aus Bayern" ist er vor Kurzem für seine Kiste ausgezeichnet worden. Es ist nicht Öttls erster Preis: Schon elf Mal hat er bei dem Wettbewerb teilgenommen, der jedes Jahr unter einem anderen Thema stattfindet - fünf Mal ist er prämiert worden. Für den 54-Jährigen ist Schreinern nicht nur Handwerk, sondern auch Kunst. Das zeigt sich auch in seiner Werkstatt in Lenggries, die idyllischer kaum gelegen sein könnte: rund herum die Voralpen, im Garten Obstbäume, ein Holzvorrat vor dem alten, bemalten Bauernhaus. Momentan wird die Werkstatt im Hof von den Fronten und Schubladen einer Küche dominiert, die Öttl für Kunden aus der Region anfertigt.

Der ein oder andere Hinweis auf seine "Objekte", wie Öttl seine Kunstwerke nennt, ist trotzdem zu finden. Da wäre zum Beispiel das Modell für eine hölzerne Liege in Form einer Chili-Schote, die der Schreiner für einen Wettbewerb zum Thema "Möbel zum Vernaschen" angefertigt hat. Oder das für einen schiefen Turm aus Holzwürfeln, den Öttl "Stele 3" genannt hat - weil er drei Versuche brauchte, bis das Kunstwerk endlich so war, wie er es sich vorstellte.

Wenn der Lenggrieser über Holz spricht, von der "Weiche der Fichte" oder "der tollen Farbe des Apfelbaums", hört man ihm die Liebe zu seinem Material an. Dabei kam Öttl erst als "Spätberufener" zu seinem Handwerk, wie er es nennt. Nach der Schule machte er zunächst eine kaufmännische Ausbildung und studierte vier Semester Landwirtschaft. Erst mit 26 Jahren entschied er sich für die Schreiner-Lehre. Schon sein Vater und sein Großvater waren Bauschreiner, aber nicht selbständig. Die Werkstatt, in der er heute arbeitet, hat er von ihnen geerbt. Öttl war es wichtig, nach der Meisterprüfung seinen eigenen Betrieb aufzubauen: "Weil ich einfach meine eigenen Sachen machen kann." Mittlerweile ist der Schreiner um ein Jahr im Voraus ausgebucht. "Ich weiß jetzt schon genau, was ich im Mai 2022 machen werde. Das ist auf der einen Seite schön, weil es Sicherheit bietet - aber auch ein bisschen schade, weil ich so weniger spontan sein kann."

Eine Zeit lang habe er sogar überlegt, sich vollständig als Künstler anzumelden, erzählt Öttl. Dafür sei sein Kontaktnetz in der Branche aber nicht groß genug gewesen. Die Liste der Orte, an denen er schon ausgestellt hat, ist trotzdem lang: Lenggrieser Kunstwoche, Kunstmeile Wolfratshausen, Tölzer Stadtmuseum - um nur ein paar zu nennen. Im Jahr 2015 geriet eines von Öttls Objekten in die Schlagzeilen: Sein "Oktaeder", eine Figur aus acht Holzringen, die bei der Kunstmeile Wolfratshausen aufgestellt werden sollte, wurde zerstört. Drei der acht Ringe gingen zu Bruch, zwei mussten aus der Loisach gefischt werden. Der Täter wurde nie gefasst. "Das war schon heftig", sagt Öttl heute. "Da sind viele Stunden Arbeit verloren gegangen."

Abschrecken lassen hat sich der Künstler davon trotzdem nicht. Noch immer hat er zahlreiche Ideen für neue Objekte. Seine Inspiration holt er sich vor allem draußen, in der Natur. Der erste Schritt sei dann meistens eine grobe Zeichnung auf Papier, erklärt Öttl. Anschließend probiere er sich am Material aus, zum Beispiel, indem er ein erstes Detail oder ein grobes Modell formt. "Und dann lasse ich es oft ein bisschen liegen. So ein Kunstwerk braucht Zeit, um sich zu entwickeln." Mit seinen Objekten verdient Öttl mittlerweile sogar Geld, auch wenn die Haupteinnahmequelle die Schreinerei bleibt. "Ich baue schon auch mal gern einen Tisch", sagt er.

Der Holzmangel, unter dem derzeit viele Handwerksbetriebe leiden, beschäftigt Öttl nur am Rande: Der Lenggrieser besitzt einen eigenen Wald, insgesamt elf Hektar auf verschiedene Standorte verteilt - mit Fichten, Tannen, Buchen, Eschen. "Wenn ich Plattenware zukaufen muss, merke ich aber schon, dass die Situation im Moment sehr schwierig ist", sagt er. Da könne der Tagespreis für einen Quadratmeter Eichenholz schon mal bei 150 statt bei 100 Euro liegen. Als Hauptgrund für die Materialknappheit gilt der durch Corona ausgelöste Bauboom, vor allem in den USA.

Auch wenn Öttl gerne mal mit Trendholzarten experimentiert, zum Beispiel mit Zirbe aus dem Zillertal: Besonders verbunden ist er dem Holz, das in der Region wächst. Seine prämierte Kiste hat er aus Fichtenholz aus dem eigenen Wald gezimmert - "Fichte ist ein Klassiker im Isarwinkel." Auf dem Stapel vor seinem Bauernhaus liegt ein Stück Holz eines Zwetschgenbaums, den er vor Kurzem im Garten gefällt hat. Öttl dreht es in den Händen: "Da laufe ich jetzt jeden Tag dran vorbei - bis sich eine Idee entwickelt hat."

Die ausgewählten Arbeiten des diesjährigen Wettbewerbs "Holz aus Bayern" werden auf der Messe "Heim und Handwerk" ausgestellt: 1. bis 5. Dezember, Messegelände München

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SZ vom 01.09.2021
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