Süddeutsche Zeitung

Künstlervereinigung Lenggries:"Die Entdeckung des Zwischenraums"

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Von Felicitas Amler, Lenggries

Am faszinierendsten sind ja oft die Dinge, die man nicht sieht. Die kleinen Geheimnisse oder versteckten Botschaften. Besucher der Kunstwoche Lenggries könnten so etwas in den Arbeiten von Gudrun Reubel entdecken: Wer der Braille-Schrift mächtig ist, könnte mit viel Mühe dechiffrieren, dass sich in einem der Prägedrucke ein Text von Ambroce Bierce verbirgt. Und wer mit der Künstlerin aus Fridolfing ins Gespräch kommt, könnte erfahren, dass die "Schatten" betitelten Exponate durch Bauarbeiten an einer Kirche in ihrer Nähe angeregt wurden: Ein herumliegendes metallenes Lochbrett habe derartig schöne Schattenmuster geworfen, erzählt sie, dass sie dies künstlerisch umsetzen wollte. Indem sie Aquatinta und Prägedruck in strengem Schwarz-Weiß-Kontrast kombiniert, schafft Reubel wunderbar grafische Werke. Auf den ersten Blick mögen sie nur wie Schemen und Muster erscheinen. Wer sich einlässt, kann mehr sehen.

"Schwarz. Weiß" ist heuer das Thema der Kunstwoche, welche die Künstlervereinigung Lenggries (KVL) am Freitagabend im Pfarrheim eröffnet hat. Aber um Schwarz-Weiß im streng wörtlichen Sinn gehe es nicht, erklärte der KVL-Vorsitzende Günter Unbescheid. "Wir haben immer den Ehrgeiz, dass wir einen scheinbar alltäglichen Begriff benutzen", sagte er, denn der entwickle "eine gewisse Tiefe", sobald die Künstler ihn aufgriffen. Schwarz-Weiß stehe für Gegensätze und Widersprüche, für Polarität und Paradoxie. Je mehr er und seine Kollegen sich damit befasst hätten, umso mehr "Aha-Effekte" hätten sie erlebt, sagte Unbescheid. Den Besuchern der Schau wünschte er "die Entdeckung des Zwischenraums, nicht so sehr der Extreme".

Der Landrat sagt nur: "Wow!

Landrat Josef Niedermaier, der die Gäste zusammen mit Bürgermeister Werner Weindl begrüßte, kommentierte die Ausstellung mit einem "Wow!" und würdigte die Auseinandersetzung mit dem Thema, das man ja auch politisch interpretieren könne.

Im weitesten Sinn tut das Dorothea Reese-Heim mit ihrer Installation "Behausungen - der schöne Schein". Es ist jenes Exponat, das den prominentesten Platz in der Ausstellung einnimmt: die Bühne. Sieben transparente Kunststoff-Polygone mit Abbildungen von Gräsern und Ähren drehen sich da vor einem Hintergrund, auf den im Wechsel ebenfalls Bilder von Gras, Hanf, Flachs und Weizen projiziert werden. Im Zusammenspiel wirkt das äußerst anmutig, spielerisch, licht und freundlich. Auch hier lohnt der zweite Blick: In dieser vorgeblichen Natur ist fast kein bisschen Grün mehr; die polygonalen "Gewächshäuser" bergen sterbende Materie. "Alles künstlich, öd und leer", erklärt Reese-Heim. Das Werk ist ihr Kommentar zu einer Welt, in der Pflanzen in unterirdischen Hallen erzeugt werden können, auf Nährlösungen und Wachstumssubstraten.

Nicht nur Ü 50

Kunstausstellungen im Landkreis sind oft Ü-50-Veranstaltungen - junge Kunst ist eher selten zu sehen. In Lenggries ist das heuer anders: Die 30-jährige Gaißacherin Veronika Partenhauser, freischaffende Kamerafrau, Regisseurin und Cutterin mit akademischer Ausbildung, zeigt eine Videoinstallation. Sie spielt mit dem Kontrast aus Farben einerseits und Schwarz-Weiß andererseits. Witzigerweise hat sie die Monitore mit ihren Filmsequenzen, die in einer Schwimmbad-Umkleide spielen, in die Garderobe des Pfarrheims eingebaut. Die Illusion ist perfekt: Umkleide in Umkleide. Um Illusionen geht es in gewisser Weise auch in ihrer "Farb - Los?" betitelten Arbeit. Sie hat aus Color-Aufnahmen partiell die Farbe(n) herausgefiltert und lässt die Bilder hin- und herspringen: Welches Grau verbirgt welche Farbe? Ist Pink dunkler als Gelb, wenn es sich in einen Grauton verwandelt? Und wie viele Graustufen gibt es eigentlich zwischen Schwarz und Weiß? Während der Betrachter über all dies sinnieren mag, öffnen und schließen sich die Türen der Badekabinen, mal betritt eine schlanke Blonde mit Flipflops die Szene, mal ahnt man, dass sich die Person gerade auszieht, mal lüpft ein Mann die neongelbe Badehose. All das ist sinnlos schön. Aber auch animierend - zum genauer Hinschauen.

Das könnte der Appell bei allen Exponaten sein, von Heidi Gohdes Detailaufnahmen aus der Natur über Jürgen Dreisteins Zeichnungen vom Grund der Isar bis zu Ecki Kobers Reflexion über schwarzes Gold. Manches freilich wird auch bei genauestem Hinschauen nicht sichtbar. Zum Beispiel, wie Gudrun Reubel die Braille-Schrift in ihre Bilder bringt. Die Lösung: Sie sticht die Chiffren mit einem Bleistift spiegelverkehrt von hinten in die Leinwand. Punkt für Punkt für Punkt. "Wie Tütenkleben im Gefängnis." Aber freiwillig und im Ergebnis weitaus reizvoller.

Künstlervereinigung Lenggries: "Schwarz.Weiß", Geiersteinstraße 7, Lenggries; Montag bis Freitag 14 bis 19 Uhr, Samstag/Sonntag 10 bis 19 Uhr; bis 30. September

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Quelle:
SZ vom 17.09.2018
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