Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl in Bad Tölz-Wolfratshausen:Der Dornröschen-Wahlkampf

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Am 26. September ist Bundestagswahl. Bis auf ein paar Plakate sieht man auf den Straßen davon aber noch nicht viel. Das liege an Corona und an den Sommerferien, sagen die Parteien. Doch schon bald soll sich das ändern.

Von Claudia Koestler, Kathrin Müller-Lancé und Florian Zick, Bad Tölz-Wolfratshausen

Der Karl-Lederer-Platz in Geretsried - von den Einheimischen gerne auch nur KLP genannt - ist der größte Platz im Landkreis. Eigentlich die perfekte Wahlkampfbühne. CSU-Direktkandidat Alexander Radwan ist hier mal kurz drüber geschlendert, als er sich mit Politprominenz aus Berlin nebenan im Rathaus zu einer Mietdebatte getroffen hat. Der Linken-Kandidat Erich Utz hat nach einer kleinen Fahrraddemo für eine zügigere Verlängerung der S-Bahn nach Geretsried hier die Abschlusskundgebung abgehalten. Aber sonst ist es im Wahlkampf bislang ziemlich ruhig - und das nicht nur auf dem KLP.

"Es gibt einfach etwas, das den Wahlkampf anders macht", sagt Radwan - und meint mit "es" die Corona-Pandemie. Denn all das, wo sich die CSU unter normalen Umständen unter das Volk mischen, mit Bürgern ins Gespräch kommen, sich volksnah geben, Wünsche und Ideen abholen und die große Politik erklären würde - all das fällt unter den aktuellen Bestimmungen komplett weg. "Kein Patronatstag, kein Gautrachtenfest, keine Feuerwehrfeste", seufzt Radwan. "Und gerade die Möglichkeit zum Austausch ist doch für die Politik wichtig", fügt er hinzu. Doch all solche Termine mit großem Publikum haben schon das ganze Jahr über nicht stattfinden können - "nicht einmal in Bierzelten", sagt Radwan.

Natürlich wird so ein Wahlkampf mit durchaus langem Vorlauf geplant. Und natürlich war Corona auch vergangenes Jahr schon ein Thema. Doch zu ersetzen seien solche Auftritte und volksnahen Gelegenheiten eben nicht, weiß der CSU-Politiker. Vereinzelt gebe es zwar parteipolitische Veranstaltungen, dann auch mit großen Namen und Themen, etwa kürzlich in Königsdorf mit Friedrich Merz. Aber in den großen Saal des örtlichen Gasthauses durften aus Hygieneschutzgründen nur 50 Personen rein. "Da habe ich dann vielen absagen müssen", bedauert Radwan. Und ein klassischer Haustürwahlkampf als Alternative komme für ihn nicht in Frage. "Ich habe mir das überlegt, aber die Inzidenzen gehen gerade wieder hoch, da halte ich das nicht für geboten."

Bei den Grünen ist man zu einem anderen Ergebnis gekommen. Dort werden in den kommenden Wochen wieder Wahlkampfteams im Einsatz sein und "Klinken putzen", wie man so sagt, dieses Jahr freilich mit ordentlich Desinfektionsmitteln im Gepäck. Einen solchen Haustürwahlkampf werde es also noch geben, sagt Andreas Wild, der Vorsitzende des Kreisverbands Bad Tölz-Wolfratshausen. "Die persönlichen Begegnungen sind eben wichtig", sagt er. Und dass es bisher noch eher ruhig war, das liege vor allem an den Sommerferien. Da seien viele Leute im Urlaub und deshalb auch nicht greifbar. Die wirklich heiße Wahlkampfphase werde deshalb wohl erst mit Schulbeginn einsetzen, schätzt Wild. Auf den August jedenfalls habe man bei der Planung noch keinen so großen Fokus gelegt. Das wäre auch zu früh, sagt Wild. Denn es bestehe die Gefahr, "dass man sich vorher auch verkämpfen kann". Die Grünen halten ihre Kräfte deshalb für die zwei, drei Wochen vor der Bundestagswahl am 26. September zusammen.

Auch Wild und seine Leute setzen dabei auf bekannte Namen. So wird am 17. September zum Beispiel Claudia Roth für einen Wahlkampfauftritt nach Bad Tölz kommen. Kernthemen sollen dabei dann der Klimaschutz, aber auch soziale Gerechtigkeit sein. Natürlich werde man auch ein paar lokale Themen spielen, sagt Wild. Da müsse man aber genau darauf schauen, was wirklich tauglich sein. Die Schwächen im öffentliche Nahverkehr zum Beispiel, eigentlich ein Thema wie gemalt für die Grünen, sei sehr schwierig. "Dieses Problem ist auf dem Land nicht so leicht zu lösen", sagt der Vorsitzende. Zudem wolle man die Wähler nicht mit den immer gleichen Klischeethemen langweilen.

Mit Klischees weniger Probleme hat man bei der SPD, zumal es gerade gelingt, mit den alten Kernthemen wie der sozialen Gerechtigkeit wieder zu punkten. Dass man auf den Marktplätzen in der Region bisher trotzdem noch recht selten jemanden die rote Fahne hat schwenken sehen, habe aber eben vor allem den bekannten Grund, dass die Wahlkampfpläne unter Corona-Bedingungen geschmiedet wurden, sagt Klaus Barthel, der SPD-Kreisvorsitzende. Deshalb passiere aktuell mehr bei sozialen Medien wie Facebook oder Twitter, da ist das Ansteckungsrisiko gleich null. Und dann ist es eben auch noch so, dass die aussichtsreicheren Kandidaten - Alexander Radwan von der CSU, Karl Bär von den Grünen oder Hannes Gräbner von der SPD - allesamt drüben aus dem Landkreis Miesbach stammen, mit dem Bad Tölz-Wolfratshausen zusammen den Wahlkreis 223 bildet. Deshalb passiere dieses Jahr vielleicht schon auch etwas mehr im Miesbacher Raum, sagt Barthel.

Vernachlässigen wolle man das Gebiet zwischen Icking und der Jachenau deshalb aber natürlich nicht, sagt Barthel - auch, wenn die SPD bei den jüngsten Wahlen dort fast flächendeckend nur noch einstellige Ergebnisse eingefahren hat. Aber wer hätte kürzlich schon gedacht, dass Olaf Scholz tatsächlich eine Chance haben wird, ins Kanzleramt einzuziehen. Für die SPD werde es deshalb vor allem darum gehen, ihr Wählerpotenzial zu mobilisieren. "Die Leute müssen merken, dass der Ausgang offen ist und es auf jede Stimme ankommt", sagt Barthel. Anfang September will der Kreisverband deshalb schauen, was die einzelnen Ortsvereine planen - und dann gegebenenfalls noch einen drauflegen.

Im September könnte es dann also endgültig vorbeisein mit der "zähen" Phase im Wahlkampf, wie es Béatrice Vesterling nennt, die FDP-Kandidatin aus Holzkirchen. "Dieser Wahlkampf fühlt sich tatsächlich noch ein bisschen an wie Dornröschen, das erst wach geküsst werden muss", sagt sie. Natürlich habe auch ihre Partei schon viel in den sozialen Medien gepostet. Aber dass mit diesem Internetwahlkampf auch die richtige Zielgruppe erreicht werden kann, da ist sich Vesterling nicht ganz sicher: "Ich kann mir vorstellen, dass das vor allem bei denen ankommt, die uns sowieso schon zugetan sind - und nicht bei den Unentschlossenen und denjenigen, die bisher andere Parteien gewählt haben", sagt sie.

Ein beliebtes Hilfsmittel kommt dabei im Kampf um die Wechselwähler heuer übrigens nicht wie gewohnt zum Einsatz - das Giveaway. An den Infoständen in Miesbach und Bad Tölz dürfe man Flyer und kleine Geschenke zwar auslegen, aber coronabedingt nicht persönlich übergeben. Auch das mache es schwieriger, sagt Vesterling, auf Leute zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2021
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