Süddeutsche Zeitung

Kirchen in Bayern:Glocken mit brüchiger Stimme

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Nach den beiden Weltkriegen griffen viele Pfarreien aus Mangel an Material und Geld nicht zu Bronze, sondern zu Ersatzstoffen, um das Geläute zu erneuern. Das ist mittlerweile ein Problem: Manche davon sind nicht so haltbar oder belasten die Hängekonstruktionen.

Von Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Als in Kirchen nach den beiden Weltkriegen die Glocken fehlten, brauchten Pfarreien schnell Ersatz. Sie mussten erfinderisch sein, denn es herrschte Materialmangel. Außerdem fehlte oft das Geld, um Glocken wieder mit teurer Bronze wie für die ursprünglichen Geläute gießen zu lassen. Manche Pfarreien entschieden sich daher für Stahl, woraus sich vielleicht auch ein Stück Fortschrittsglaube herauslesen lässt. "Stahl galt als Werkstoff des 20. Jahrhunderts", beschreibt dies der frühere Musikdirektor der Erzdiözese München und Freising, Gerald Fischer.

Im Nachhinein zeigt insbesondere die beinahe abgestürzte Peter-und-Paul-Glocke in der gleichnamigen Beuerberger Pfarrkirche, wie problematisch dies sein kann. Denn um den gewohnten Klang zu erhalten, musste das Volumen der Stahlglocken um 20 Prozent größer sein als das der ursprünglichen aus der Bronze, so Fischer. "Hier musste man tricksen." So seien neue Glockenstühle direkt ins Mauerwerk aufgesetzt worden. Weil die Glocken überdimensioniert seien, könne es zu Schäden kommen - und das meist am Stelzenjoch, das die Klangkörper hält, nicht an ihnen selbst.

In der Beuerberger Pfarrkirche hat es zwei der vier Aufhängungsbolzen bei der größten, mit Klöppel fünf Tonnen schweren Glocke abgesprengt. Wie das passieren konnte, ist für den Sachverständigen und früheren Diözesanmusikdirektor eher unerklärlich. Dies könnte aber mit den auftretenden Scherkräften zu tun haben, die kaum beherrschbar seien, wie er sagt. Im höchsten Aufschwung der von Elektromotoren bewegten Glocken wirkten Belastungen des dreifachen Eigengewichts. In der Kippbewegung wirkten Kräfte gleichzeitig direkt nach unten. "Dadurch entstehen Scherkräfte", so Fischer.

Stahlglocken brauchen für den gleichen Klang mehr Volumen

In Beuerberg ist das Geläut vorerst stillgelegt, seit dem Mesner bei Vorbereitungen für den Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt die beschädigte Glocke aufgefallen ist. Der Klangkörper ist mit Holzkanten notgesichert. Offen ist bisher, ob das Staatliche Bauamt Weilheim - die Behörde unterhält die Kirche im Auftrag des Freistaats Bayern - nur die kaputte Peter-und-Paul-Glocke austauschen wird oder eventuell das ganze Geläut mit Bronze samt hölzernem Glockenstuhl ersetzt. Letzteres favorisiert die Pfarrgemeinde. Entschieden wird dies wohl frühestens nach den Sommerferien.

Der Montankonzern "Bochumer Verein" hat die vier Stahlglocken für Beuerberg im Jahr 1949 angefertigt. Aus dem gleichen Material fertigte das Unternehmen laut der nationalen Glockendatenbank die Geläute in den Kirchen St. Nikolaus in Wackersberg (1946) sowie Heilig Kreuz in Icking (1953). Vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis 1950 war es laut Fischer technisch nicht anders möglich, als Stahlglocken mit größerem Volumen als jenem der bronzenen zu fertigen. Anders ließ sich der alte Klang gar nicht erhalten. Später wurden Produktionsverfahren weiterentwickelt. Regionsweit finden sich zusätzlich zu Bronze auch Eisenhartgussstahl oder Euphon als Materialien für Glocken in den Gotteshäusern.

Die Nazis wollten der Kirche die Stimme nehmen, so Fischer

Woran lag es aber, dass vor allem in den 1920er- und 1940-er Jahren so viele Glocken neu angefertigt wurden. "Vor allem im Ersten Weltkrieg war das Material Bronze interessant", erklärt Fischer. "Viele Glocken wurden zu Kanonen umgegossen." Viele Pfarreien hätten jedoch meist ihre kleinsten Bronze-Exemplare zurückbehalten. Daher fänden sich in vielen Kirchtürmen noch wirklich historische Klangkörper. Dem Naziregime sei es jedoch um mehr gegangen als nur das kriegswichtige Material, als es Glocken einzog. "Man wollte der Kirche die Stimme nehmen", so Fischer. Dafür spreche, dass die Klangkörper zwar auf sogenannten Glockenfriedhöfen gesammelt und deponiert worden seien. Nach dem Krieg seien viele Glocken aber wieder in die Pfarreien zurückgekommen, laut Fischer in der Erzdiözese München und Freising sogar ganze Geläute.

Schadensanfällig sind laut Fischer insbesondere aus Eisenhartgussstahl hergestellte Glocken. "Die haben eine Lebensdauer von um die hundert Jahre." Das Material roste und bilde Blasen aus. Das wirke so wie Wasser, das im Gebirge Felsen sprengen könne, wenn es in den Stein eindringe und gefriere. Erst kürzlich hat der Pfarrverband Dietramszell in der Thankirchner Filialkirche die große, aus diesem Material im Jahr 1920 gefertigte Glocke ersetzen lassen.

Als Glockenersatzstoff diente auch Euphon

Vor allem Euphon-Glocken lassen sich in einigen Kirchen der Region finden. Weil es in der Nachkriegszeit an vielen Materialien fehlte, arbeitete der Erdinger Glockengießer Karl Czudnochowsky (1900-1977) mit einer Kupfer-Zink-Legierung. "Es handelt sich praktisch um Messingglocken", sagt Fischer. Der Hintergrund: Czudnochowsky hat einfach den zur Bronzeherstellung mit Kupfer benötigten Zinnanteil durch Zink ersetzt. Das sparte Kosten.

Und heute? Inzwischen kommen laut Fischer nur noch neue Glocken aus Bronze als Ersatz infrage. Das hängt mit dem schöneren Ton zusammen. So klängen Glocken aus diesem Material etwa 20 Prozent länger nach als andere aus Ersatzstoffen.

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