Süddeutsche Zeitung

In der Münchner Innenstadt:Verschwörungsideologen wollen am 9. November demonstrieren

Lesezeit: 3 min

Freiheit für inhaftierte Gesinnungsgenossen zu fordern, ist Ziel einer Kundgebung parallel zur zentralen Gedenkfeier. Die Versammlung könnte aber noch verboten werden, die Behörden arbeiten an einer Gefahrenprognose.

Von Martin Bernstein

Eine verurteilte Shoah-Leugnerin soll frei kommen: Das fordert ein ebenfalls wegen Volksverhetzung vorbestrafter Rechtsextremist. Und er will dafür eine Kundgebung mit dem Titel "Freiheit für alle politischen Gefangenen" nutzen, zu der Markus Haintz, ein Rechtsanwalt aus der Querdenker-Szene, für Mittwoch in München aufruft. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München, zeigt sich "absolut schockiert". Die 90 Jahre alte Überlebende des Nazi-Terrors sagt: "Diese Kundgebung an diesem Tag und an diesem Ort ist eine Provokation gegen das Gedenken und damit gegen die Demokratie, die darauf fußt."

Denn Haintz fordert nicht nur Freiheit für den auf den Philippinen inhaftierten Verschwörungsideologen Oliver Janich, der nach Ansicht von Experten jahrelang antisemitisch codiertes Gedankengut im Internet verbreitet hat. Er will das ausgerechnet am 9. November tun, dem 84. Jahrestag der NS-Pogromnacht. Und zwar mit einem Demonstrationszug, der ursprünglich dem Münchner Marienplatz beginnen sollte. Dort aber werden zur selben Zeit die Gäste eintreffen, die von 19 Uhr im benachbarten Alten Rathaus der verfolgten, vertriebenen und ermordeten jüdischen Münchnerinnen und Münchner gedenken wollen. Am Sonntagabend gab Haintz die Verlegung auf den nahen Max-Joseph-Platz bekannt.

Während beim Gedenkakt Knobloch, Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und die Historikerin Sybille Steinbacher an das Schicksal der Menschen erinnern, die vor 80 Jahren mit den ersten Deportationen ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt wurden, vertreten nur ein paar hundert Meter weiter Verschwörungsgläubige, Pandemieleugner und Rechtsextremisten die Mär, in der Bundesrepublik gebe es "politische Gefangene", die es zu befreien gelte.

Haintz als Initiator der Kundgebung an diesem "deutschen Schicksalstag", wie er es nennt, meint damit dezidiert Oliver Janich, der auf den Philippinen in Haft sitzt und gegen den inzwischen die Münchner Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Beleidigung und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten ermittelt, und den "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg, der seit Ende Juni unter dem Verdacht auf Betrug und Geldwäsche in Untersuchungshaft sitzt. Ballweg agitierte mit NS-Relativierungen und Nähe zum antisemitischen Verschwörungskult QAnon gegen Corona-Maßnahmen und Impfungen. Sein Mitstreiter Janich forderte öffentlich dazu auf, deutsche Regierungsmitglieder und den jüdischen Mäzen George Soros umzubringen, und interpretierte den russischen Überfall auf die Ukraine als Teil einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. Der gebürtige Münchner Janich scheiterte bei der Kommunalwahl 2014 mit dem Versuch, als OB-Kandidat einer "Partei der Vernunft" anzutreten.

Für diese "politischen Gefangenen" zu demonstrieren, sei "ehrenwert", freut sich der Rechtsextremist Nerling auf Twitter. Doch dann fragt er: "Warum wird Marianne Wilfert nicht genannt?" Die 68 Jahre alte Shoah-Leugnerin sitzt wegen Volksverhetzung und Beleidigung im Gefängnis. Nerling selbst, der sich "Volkslehrer" nennt, ist ebenfalls wegen Volksverhetzung vorbestraft, nachdem er im Februar 2019 in der KZ-Gedenkstätte Dachau den organisierten millionenfachen Massenmord an Juden in der NS-Zeit vor Schülern relativiert hatte. Mit einem eigenen Twitter-Aufruf versucht Nerling die Münchner Kundgebung für seine Zwecke zu nutzen.

Knobloch: Wehrhafter Rechtsstaat

Ziel und Zweck eines demokratischen Versammlungsrechts sei es nicht, Rechtsextremen und Verschwörungsideologen, die die Freiheiten dieser Demokratie missbrauchten, freie Hand zu geben, empört sich die Münchner Ehrenbürgerin Charlotte Knobloch. Der Rechtsstaat müsse sich wehrhaft zeigen gegen seine Feinde. Knobloch sagt: "Ich vertraue darauf, dass die städtischen Stellen alles Nötige tun, damit diese Demonstration so nicht stattfindet."

Das könnte durchaus geschehen. Die Münchner Polizei erarbeitet derzeit eine Gefahrenprognose, auf die das Kreisverwaltungsreferat ein Verbot oder eine Verlegung der für 800 Teilnehmer angemeldeten Demonstration stützen könnte. "Aktuell wird ein Lagebild unter Einbindung aller relevanter Stellen erhoben", hieß es am Donnerstag aus dem Polizeipräsidium. Nach dem bayerischen Versammlungsgesetz kann eine Versammlung beschränkt oder untersagt werden, wenn sie an einem Tag oder Ort stattfinden soll, "dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt", und wenn die Gefahr besteht, dass die Würde der Opfer mit Füßen getreten oder die NS-Terrorherrschaft verharmlost wird.

Melchior Ibing lobt Postfaschisten

Die größte Münchner Gruppierung aus der Pandemieleugner-Szene "München steht auf", die aktuell immer wieder Stimmung gegen den Volksverhetzungsparagrafen macht, unterstützt ausdrücklich Haintz' Anliegen. Für dessen Kundgebung will sie ihren eigenen Mittwochsumzug ausfallen lassen. Es gehe um "politische Verfolgung", behauptet in einem Video Melchior Ibing, der Sprecher der Gruppe - darum, dass man "Leute leichter verschwinden lassen kann". Ibing, der selbst teilnehmen will, rührt derweil die Werbetrommel für die italienischen Postfaschisten: "Ein Land blüht in neuer Freude auf", schreibt Ibing auf Telegram. "Wenn sich ein Land in dieser Art entwickelt, mit einer Regierung, die als faschistisch diffamiert wird, könnte man glatt auf die irre Idee kommen, dass Faschos Menschenfreunde seien."

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