Süddeutsche Zeitung

Zoologie:4000 Euro - wenn Sie eine unentdeckte Tierart nach sich benennen wollen

Lesezeit: 3 min

Der Münchner Zoologe Michael Schrödl hat ein wütendes Buch über das Tiersterben geschrieben. Mit der Eitelkeit von Politikern, Milliardären und Wirtschaftbossen will er Großes für den Artenschutz leisten.

Interview von Martina Scherf, München

Zuerst der Aufschrei wegen des Bienensterbens, dann die Klimakonferenz, und wie zum Beweis, dass die Mahnungen der Umweltschützer regelmäßig verhallen, widersetzte sich die EU jetzt einem Verbot des Pflanzengifts Glyphosat: Der Zoologe Michael Schrödl, 50, ist sauer. Er lehrt und forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität und an der Zoologischen Staatssammlung in München, und hat zusammen mit seiner Kollegin Vreni Häussermann, 47, die eine Forschungsstation in Chile leitet, ein Buch über den Verlust der Artenvielfalt geschrieben: "BiodiversiTOT". Auch eine Petition auf change.org haben die beiden gestartet.

SZ: Herr Schrödl, aus Ihrem Buch klingt ganz schön viel Wut ...

Michael Schrödl: Stimmt. Aber die Fakten sprechen für sich: Jedes Jahr verschwinden 20 000 bis 50 000 Tierarten von der Erde. Da tun sich Abgründe auf. Das Schicksal der tropischen Korallenriffe ist so gut wie besiegelt. Die Regenwälder werden abgeholzt. Wir sehen das Insektensterben, wir spüren die Folgen des Klimawandels, aber alles geht weiter wie gehabt. Deshalb brauchen wir jetzt dringend viel mehr Geld für die Forschung. Ein Schmeichelkurs bringt uns nicht weiter.

An wen wollen Sie Ihr Buch verschicken, und wer bezahlt das?

Das bezahlen wir aus eigener Tasche. Wir lassen jetzt erst mal eine Auflage von 1000 Stück drucken, aber das wird nicht reichen. Jeder Bundestagsabgeordnete bekommt ein Exemplar geschenkt, auch sämtliche deutschsprachigen Milliardäre und die wichtigsten Industrie- und Handelsvertreter in Deutschland. Da werde ich wohl mit 10 000 Euro dabei sein. Aber ich ziehe das jetzt durch.

Was versprechen Sie sich davon?

Mehr Bewusstsein für das Artensterben, das wohl drängendste Umweltproblem überhaupt. Und dass uns ein paar mächtige Menschen unterstützen. Ich wünschte, die Biologen fänden in der Politik ebenso viel Gehör wie die Vertreter der Autoindustrie. Die Taxonomie, also die Artenforschung, ist mit die am wenigsten wahrgenommene Wissenschaft. Oder haben Sie je einen Artenforscher in den Medien gehört?

Höchstens wenn es um Schimpansen oder Wale geht.

Eben. Aber wie will man Millionen von Arten schützen, wenn man sie noch nicht mal kennt und die Funktion der Ökosysteme oft noch gar nicht versteht? Es gibt die Agenda 2030 der Vereinten Nationen, es gibt Pläne der Europäischen Union und der Bundesregierung - aber nichts hat sich getan. Der Flächenfraß und der Pestizideinsatz gehen gnadenlos weiter. Und den Großteil der Kartierung von Flora und Fauna machen nicht Forscher, sondern Laien. Das ist ehrenwert, aber nicht sehr effizient. Artenschutz muss cool werden, sagen meine Kinder. Er braucht prominente Unterstützer.

Um Unterstützer zu bekommen, versprechen Sie, dass jeder, der spendet, Namensvetter einer neu entdeckten Art wird.

Ja, ab einer Spende von 4000 Euro sind Sie dabei. Das ist doch eine Chance, sich zu profilieren! Bill Gates hat die größte Gesundheitsstiftung der Welt, Elon Musk will zum Mars fliegen und Mark Zuckerberg unterstützt Bildungsprogramme - da kann sich doch der eine oder andere DAX-Vorstand als Retter der Tierwelt verewigen.

Und sich damit ein reines Gewissen kaufen?

Zugegeben, das ist ein sensibles Thema. Andererseits haben Ölkonzerne wie Petrobras oder Total große Biodiversitätsstudien gefördert. Da sitzen ja intelligente Menschen an der Spitze, die wissen durchaus, was sie tun. Niemand kann doch Interesse daran haben, die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Es wird halt nur viel verdrängt.

Sie nennen viele Umweltsünder beim Namen . . .

Wir wollen niemanden persönlich an den Pranger stellen, die machen auch nur ihren Job, im Namen ihrer Aktionäre, der Angestellten, der Kunden, also auch uns. Muss sich ein Bayer-Vorstand angegriffen fühlen, weil er Monsanto kauft, den größten Glyphosat-Hersteller? Oder ist es schlichtweg Zeit, eine nachhaltigere Konzernstrategie einzuschlagen, zum Wohle aller? Leider sind die sogenannten Pflanzenschutzmittel das Übelste, was Flora und Fauna passieren kann.

Man sieht es halt nicht: Unsere Wälder sind grün, unsere Seen blau . . .

Wenn man es weiß, sieht man es schon: Unsere Landschaft verödet. Und es gibt Regionen auf der Welt, da ist die intakte Umwelt längst verschwunden - für unsere Rohstoffe, unsere Industrie, unsere Lebensmittel. Was werden aber Millionen Afrikaner und Asiaten tun, wenn es in Zukunft weder Nahrung noch Wasser mehr in ihrem Land gibt? Wäre der Planet eine Firma, wüsste jeder längst, dass sie bei dieser Wirtschaftsweise pleitegehen wird.

Da fühlt man sich richtig schuldig.

Das brauchen Sie nicht. Denken Sie einfach beim nächsten Einkauf daran.

Und wie steht es mit Ihrem eigenen Umweltgewissen?

Das ist auch bei mir ein Lernprozess. Ich bin Vegetarier und kaufe überwiegend Biolebensmittel, damit ist zumindest der Verzicht auf Pestizideinsatz sichergestellt. Aber ich fahre auch Auto, und ab und zu muss ich fliegen. Das kompensiere ich aber, indem ich die Wiederbewaldung in tropischen Regionen mitfinanziere. Das kann jeder machen: Auf www.fussabdruck.de können Sie sehen, wie umweltfreundlich Sie sich verhalten. Und was Sie tun können, um die Welt ein kleines Stückchen zu verbessern.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2017
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