Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Mutter fiel die Teekanne aus der Hand

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Fußball-WM in Katar, einem arabischen Land: bei der Vergabe jubelte unser Autor. Wie denkt er zwölf Jahre danach?

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Im Dezember 2010 saß ich vor dem Fernseher, schrie vor Freude und sprang auf. Meine Mutter erschrak, ihr fiel die Teekanne aus der Hand und landete auf dem Teppich. Es war ein wunderbarer Moment, ich verkündete durchs ganze Haus, dass Katar die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2022 gewonnen hatte. Welch eine Freude, dass ein arabisches Land dieses Turnier ausrichten darf. Meine Mutter wirkte traurig. Der Tee auf dem Teppich, dachte ich, den werde sie doch verschmerzen. Aber es war etwas anderes.

Mutter murmelte etwas von einem tyrannischen Land, dem es an menschlichen Werten fehle, von einer herrschenden Autorität ohne Skrupel, ohne Rücksicht auf Verluste. Mama übertrieb, sagte ich mir, in meinem Fußballfieber gepackt. Sie sagte es auch nie laut draußen unter Leuten. Nicht, dass daraus eine Debatte entstünde, oder gar Streit.

Viele Jahre verteidigte ich die WM in Katar. Auch in Deutschland angekommen, immer noch unter dem Eindruck des arabischen Triumphs. Ich hatte erwartet, dass Katar anlässlich der WM-Vergabe bei seiner Politik im allgemeinen und seinem rücksichtslosen Umgang mit ausländischen Arbeitern eine 180-Grad-Wendung vornähme hin zu einer Demokratie. Doch spätestens vor drei Jahren musste ich es einsehen: Meine Wünsche und die vieler anderer blieben unerhört.

Die Münchner lieben lange Diskussionen und Kritik. Überhaupt machen es die Menschen in diesem Land sich und anderen möglichst schwer, eine Behauptung zu glauben. Seit ich hier vor inzwischen fast acht Jahren in Sicherheit gekommen bin, fällt mir die ausgeprägte Streitkultur der Leute auf. Im Laden, auf der Straße, beim Autofahren. Wenn etwas falsch läuft, dann wird drauf hingewiesen. Sei die Zahl auf einem Preisschild zu hoch, das Auto vor einem zu langsam - oder eben die Bauarbeiten in einem arabischen Emirat zu tödlich. In Deutschland wird das durchdiskutiert.

Ich tat mich lange äußerst schwer mit dieser Gepflogenheit. Ich hatte zwar bereits in Syrien als Journalist gearbeitet. Doch die offene Debatte auf der Straße, die kannte ich so nicht. In Syrien hatte ich vielmehr den Eindruck, die Menschen versuchten sich und ihre Meinung vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Möglichst nicht auffallen - und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, den Kerkern des Machthabers zu entgehen.

Vor einiger Zeit hatte ich das Angebot erhalten, mich als Freiwilliger in Katar an der Organisation der Weltmeisterschaft zu beteiligen. Ich habe mich dagegen entschlossen. Eine andere Entscheidung käme nicht mehr in Frage. Keiner, der in diesem Land öffentliche Kritik äußert, muss einen Kerker fürchten. Deswegen ist es fast schon Pflicht. An diesem Samstag werde ich deswegen dabei sein. Ich werde mit anderen Demonstranten von 12 Uhr an auf dem Münchner Marienplatz stehen und gegen die WM in Katar protestieren. In Gedanken werde ich bei den verstorbenen Arbeitern sein, und bei meiner Mutter und ihrem Teppich.

Zu den gesammelten Texten der wöchentlichen SZ-Kolumne "Typisch deutsch".

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